Dem Roman gelingt manches. Interessanterweise gehört dazu auch das Porträt von Martin Luther. Ein paar Klischees, die seinen deftigen Wortschatz und die ihn ewig plagende Verdauung ("Der Satan hat mich im Hintern geschlagen!") betreffen, bleiben nicht aus, dennoch zeichnet Röhrig das Bild eines vielschichtigen Charakters, dem das Schicksal der Menschen um ihn herum durchaus nahegeht, der jähzornig und aufbrausend sein kann, aber auch ein großer Denker und scharfsinniger Verfechter seiner Ideen bleibt.Das allein und die umkämpfte Epoche der Geschichte würde den Roman schon spannend genug machen, aber so groß war das Vertrauen des Autors und Verlags in die historischen Figuren dann doch nicht. Mit Barthel wird eine fiktive Identifikationsfigur für das Publikum eingeführt - ein junger Handwerker, der einfach nur seine Liebste ehelichen möchte. Beide üben schon fleißig, Petting in freier Natur mit Honig auf Schoß und Glied inklusive, doch ein arges Schicksal reißt sie auseinander.Den Bösewicht der Geschichte findet Röhrig in Thomas Müntzer. Der flammende Prediger und Volksaufwiegler mag zwar nicht der idealistische frühbürgerliche Revolutionär gewesen sein, zu dem ihn unter anderem die DDR-Geschichtsschreibung stilisieren wollte, doch ein etwas vielschichtigeres Bild als hier hätte der "Auserwählte" durchaus verdient. Stattdessen lässt der Autor ihn auf Dorlein und andere Menschen los, die er mithilfe seines Knechts Ambrosius zu Anhängern eines eigenen Kultes macht, der am Ende doch nichts als fanatischen Eigennutz darstellt.Als wäre dieses Unding noch nicht genug, bemüht Tilman Röhrig noch die unterste Schublade des Figurenbaukastens, indem er beide Figuren durch ihre Sexualität bloßstellt. Müntzer predigt die reine, lustfreie Zeugung auserwählter Gotteskinder und stöhnt doch wollüstig seine Frau Ottilie an, während Ambrosius sich als verhinderter Ehemann am Ende nur noch mit seiner Hand vergnügen darf. Schade, denn diese Banalitäten bremsen die sonst exzellent recherchiert Handlung immer wieder aus.Insbesondere Luthers Aktivitäten, inklusive der späten Hochzeit mit Katharina von Bora, die eigentlich mindestens einen anderen wollte, und die Bauernkriege mit ihrem Höhepunkt in der Schlacht bei Frankenhausen bieten jede Menge spannungsreiches Material, welches den Roman an vielen Stellen interessant und lesenswert macht. Wer sich mit ein paar Klischees arrangieren kann bekommt hier einen der besseren fiktionalen Beiträge zu den zahlreichen Reformationsromanen zu lesen, die das Jubiläumsjahr hervorgebracht hat.