Marie und Johanna sind Cousinen. Die eine lebt mit ihrem Mann in einer schicken Wohnung in Wien. Die andere lebt ein ursprüngliches Leben in den Bergen. Früher hat die eine der anderen beigebracht, wie man klarkommt. Heute ist es umgekehrt. Marie muss fliehen, ausbrechen und Schutz suchen bei Johanna. Und wir erfahren nach und nach, wie die beiden Mädchen zu den Frauen wurden, die sie heute sind.
Was für eine Wucht! Die Hütte auf der Tiroler Alm eingebettet in die bebende Natur, die so mächtig ist, dass sie alles verschlingen könnte, wenn sie nur will. Beschrieben hat Katharina Köller alles so lebendig, dass ich es fühlen kann - das eiskalte Brunnenwasser, den kriechenden Nebel, die tippelnden Mäusefüsschen, das pieksende Stroh und das wilde Wuchern.
Wenn ich Herzklopfen und schwitzige Hände bekomme, weil mich Maries Schicksal so mitnimmt, wenn ich mit ihr den Berg hinauf hetze und versuche, Wurzeln zu schlagen auf der Alm. Und wenn die Tränen laufen, weil der Grund für Johannas Schweigen mich mitten ins Herz trifft. Was für eine Sprache - so nah, so echt, so intensiv, so packend.
Dieser Roman ist bitter und erbarmungslos, so ungerecht und brutal wie das Leben. Und ganz unvermittelt bekomme ich vor Augen geführt, was Genugtuung bedeutet. Warm und zäh fließt das Gefühl über meine Seele, ebnet alle Narben und verschließt die Wunden.
Warum Marie in die Berge flieht, erfahren wir ganz zum Schluss. Und glühend heiß brennt dann die Frage zwischen den Zeilen: Wer schreibt die Regeln? Wer beschließt, was richtig ist und was falsch? Das Leben passt nicht zu diesem Konzept. Das Muster verschiebt sich, es zeichnet sich neu mit jedem einzelnen Moment, in dem wir handeln - oder zur Handlung gezwungen sind.
Was für eine Wucht! Ich werde dieses Buch und Johannas Hütte auf der Tiroler Alm nicht vergessen - als wäre ich selbst dort gewesen.