Besprechung vom 20.03.2025
Die Weltgeschichte macht keine Geschenke
Aber eine mutige Frau widersteht allem: Annett Gröschners bei aller handlungszeitbedingten Tragik schalkhafter Roman "Schwebende Lasten".
Annett Gröschner ist ein Wirbelwind auf dem literarischen Parkett, sie liebt die kleine Form, hellhörige Beobachtungen, spritzige Momentaufnahmen, Kurzgeschichten, Blitzlichter; sie schreibt Palimpseste, überschreibt Altes und fügt Neues hinzu. Ihrem scharfen, klugen Blick und ihrem Witz entgeht nichts im Alltag ihrer Umgebung. Die Menschen, die am Rande leben, die dem Abgrund nahe sind, sie erregen ihr Interesse und ihre Aufmerksamkeit. Was sie sieht und hört und schmeckt, das findet seine Fortsetzung beim "Flanieren auf Papier". Die Stadt Berlin, vor allem der Prenzlauer Berg, sind ihr bevorzugtes Forschungsfeld, wo sie wie eine Archäologin vergangene Schichten freilegt und Zeitzeugen befragt.
Nun endlich ist der schon länger angekündigte Roman "Schwere Lasten" erschienen, wohl eine nicht ganz einfache Geburt, denn Gröschner verlässt vertrautes Gebiet. Sie wühlt nicht mehr in der Berliner Erde, sondern geht zurück in ihre Heimatstadt Magdeburg, wo sie 1964 geboren wurde und neunzehn Jahre lang lebte, bis sie 1983 Berlin zum Lebensmittelpunkt wählte. In einer Art Einleitung teilt die Autorin dem Lesepublikum schnörkellos und präzise mit, worum es geht: "Dies ist die Geschichte der Blumenbinderin und Kranfahrerin Hanna Krause, die zwei Revolutionen, zwei Diktaturen, einen Aufstand, zwei Weltkriege und zwei Niederlagen, zwei Demokratien, den Kaiser und andere Führer, gute und schlechte Zeiten erlebt hat, die bis auf ein paar Monate im Berlin der frühen 1930er Jahre nie aus Magdeburg herauskam, sechs Kinder geboren hat und zwei davon nicht begraben konnte, was ihr naheging bis zum Lebensende (...). Die später, nachdem ihr Blumenladen im Knattergebirge genannten Armenviertel der Stadt längst Geschichte war, von einem Kran in der Halle eines Schwermaschinenbaubetriebs einen guten Überblick auf die Beziehungen der Menschen unter sich hatte und die rechtzeitig starb, bevor sie die Welt nicht mehr verstand."
Diese Lakonie darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass Annett Gröschner einen großen, vielschichtigen Familienroman geschrieben hat, angelehnt an die Lebenserfahrungen ihrer Mutter, die nicht wie der Vater, ein Kälteingenieur, aus dem Bürgertum stammte, sondern aus der Arbeiterklasse kam und Blumenbinderin war. Hanna Krause ist eine Romanfigur, die als eine Art weibliches Denkmal für die Verheerungen des zwanzigsten Jahrhunderts steht, die Zerstörungen, Bedrohungen, Katastrophen und grauenvollen Todesfällen Widerstand und Mut entgegensetzt. Sie bringt ihre Kinderschar durch, ihren kranken einbeinigen Mann, ihre Großeltern, und das alles am Rande bitterster Armut.
Immer wieder klopft die Politik an ihre Tür: Erster Weltkrieg, Hitlerzeit, Aufbau der DDR, 17. Juni 1953 und so weiter, es gehört alles zum Leben, und ohne jedes Pathos oder schrille Töne entfaltet die Autorin ein erfülltes Arbeitsleben, das mit Stolz und Würde allem Unsinn der Geschichte trotzt. Ohne Klage und Anklage mutiert Hanna von ihrem geliebten Beruf als Blumenbinderin zur Kranführerin. Ihr wird nichts geschenkt, aber sie versteht, die kurzen Momente des Glücks auszukosten und zu bewahren.
Kurz vor dem Krieg kommt ein fein gekleideter Herr in ihren ärmlichen Blumenladen. Der Fremde hat gehört, niemand könne so kunstvoll Blumen binden wie Hanna, und legt ihr eine Kunstpostkarte vor: "Vaas met bloemen" von Ambrosius Bosschaert (1573 bis 1621). Er bittet sie, für gutes Geld diesen Strauß nachzubinden. Hanna erkennt jedoch sofort, dass das abgebildete Bukett ein Kunstgebilde ist; die Blumen, die darauf versammelt sind, blühen nicht zur selben Zeit. Der vornehme Herr schlägt ihr vor, ins Magdeburger Museum zu gehen und sich den niederländischen Meister Jacob Marrel, den Lehrer Sibylla Merians, zum Vorbild zu nehmen. Dann verschwindet der Geheimnisvolle, legt Geld auf den Tisch und kehrt nie wieder zurück.
Hanna hält den nicht abgeholten Strauß lange in Ehren, sie ist besorgt: Was mag dem Unbekannten zugestoßen sein? Viel später, als es wieder Blumen gibt - und zwar in der Großmarkthalle aus allen Jahreszeiten -, bindet sie vom übrig gebliebenen Geld des ersten Straußes das Bukett von Bosschaert fast originaltreu nach. Den soignierten Herrn hat sie nie vergessen, sein Schicksal, wie immer es gewesen sein mag, bewegt sie bis zu ihrem Tod.
Der Krieg geht über die Zeit hinweg, Hanna wird mehrfach ausgebombt und einmal verschüttet, ihr einziger Sohn stirbt in den Flammen. Danach verschlägt es Hanna und ihren Mann in ein Schwermaschinenbaukombinat, Hanna wird dort Kranführerin und gewinnt eine andere, neue Hoheit: Von oben kann sie aufs Menschengeschehen hinabsehen und sich ihre eigenen Gedanken machen. Zwanzig Jahre lang bleibt Hanna Kranfahrerin und auch im Alter ungebrochen. Als ihre Enkelinnen, die als DDR-Spitzensportlerinnen die Einnahme von Dopingmitteln verweigern, sie der Großmutter schenken, nimmt diese frohgemut die Aufputschmittel ein und wird zur "Turbo-Oma".
Das alles passiert ohne Aufgeregtheit, es ist heiter erzählt, überall lugt der Schalk der Ironie um die Ecke, auch wenn die Zeiten manchmal harsch sind. Die Ruhe und auch Gelassenheit, mit der Annett Gröschner über das Komische und das Traurige im Leben erzählen kann, verströmen einen anrührenden Charme. Magdeburg lernt man lesend durch Hannas Spaziergänge von einem Ende der Stadt bis zum anderen kennen. Der letzte Gang, da ist Hanna schon über achtzig und ein wenig verwirrt im Kopf, führt sie zu ihrem alten Blumenladen. Seit fünfzig Jahren ist dort nur noch eine Brache, aber Hanna weiß genau, was dort unter der Grasdecke liegt: ihr Leben als Blumenhändlerin. In der Rocktasche hat sie Sonnenblumensamen und pflanzt sie entlang des Grundrisses ihres Ladens ein. Die hinzukommenden Polizisten halten sie für liebevoll plemplem, die eigenen Töchter staunen später über die blühende Sonnenblumenanlage, "vielleicht ein Kunstwerk". LERKE VON SAALFELD
Annett Gröschner: "Schwebende Lasten". Roman.
Verlag C. H. Beck, München 2025.
281 S., geb.
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