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Reichlich spät

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Freitag, der 29. Juli in Dublin. Das Wetter ist wie vorhergesagt, die Stadt vor Cathals Bürofenster liegt in gleißendem Sonnenschein. Nach einem scheinbar ereignislosen Tag mit Budgetlisten und Bürokaffee nimmt Cathal den Bus nach Hause. Die Landschaft zieht an ihm vorüber, die waldigen Hügel, auf denen er noch nie gewesen ist, und er denkt an Sabine. Die ein bisschen schielt und die gut kochen kann, die auch im Winter barfuß am Strand spazieren geht, die die Hügel besteigt. Die zu viel Geld ausgibt und zu viel Raum einnimmt und zumindest über die Hälfte von allem bestimmen will. Die Frau, mit der er hätte sein Leben verbringen können, wäre er ein anderer Mann gewesen. In dieser kleinen Geschichte eines gescheiterten Paares erzählt Claire Keegan vom großen Thema Misogynie. Und wie sie das tut: kein Wort überflüssig, jeder Satz von durchscheinender Klarheit. Meisterhaft!

Produktdetails

Erscheinungsdatum
16. Mai 2024
Sprache
deutsch
Seitenanzahl
64
Autor/Autorin
Claire Keegan
Übersetzung
Hans-Christian Oeser
Verlag/Hersteller
Originaltitel
Produktart
gebunden
Gewicht
196 g
Größe (L/B/H)
216/134/12 mm
Sonstiges
Mit Lesebändchen
ISBN
9783969993255

Portrait

Claire Keegan

Claire Keegan, geboren 1968, wuchs auf einer Farm in der irischen Grafschaft Wicklow auf. Sie hat in New Orleans, Cardiff und Dublin studiert. Im Steidl Verlag sind von der vielfach ausgezeichneten Autorin bereits die Erzählungsbände Wo das Wasser am tiefsten ist (2004) und Durch die blauen Felder (2008) (in einem Band: Liebe im hohen Gras, 2017), Das dritte Licht (2013/ 2022) und Kleine Dinge wie diese (2022) erschienen. Das dritte Licht wurde mit dem renommierten Davy Byrnes Award ausgezeichnet und gehört für die englische Times zu

den 50 wichtigsten Romanen des 21. Jahrhunderts. Claire Keegan lebt in Irland.

Pressestimmen

Besprechung vom 06.06.2024

Warum ist er nur so?
Claire Keegan stellt einen Frauenfeind

Cathal, ein Angestellter, sitzt in seinem Büro in Dublin, schaut aus dem Fenster und weiß nichts mit sich anzufangen. Er sieht "Kinder und üppige Blumenbeete", daran schließt sich die Überlegung an, "so vieles im Leben verlief reibungslos, ungeachtet des Gewirrs menschlicher Enttäuschungen und des Wissens, dass alles einmal enden muss" - ob Cathal das denkt oder die Erzählerin, bleibt offen. Cathal jedenfalls hätte allen Grund dazu, über Enttäuschungen und Endlichkeit nachzudenken, denn kurz zuvor, so wird bald deutlich, hat ihn seine Verlobte Sabine verlassen, und für just diesen Tag, an dem Keegans Text spielt, war eigentlich die Hochzeitsfeier vorbereitet worden.

Claire Keegans Erzählung "Reichlich spät", im Original 2022 und nun auf Deutsch bei Steidl erschienen, ist nur kurz - sie füllt netto knapp fünfzig luftig gesetzte Seiten des ausnehmend schön gestalteten Bandes. Aber sie tritt erkennbar an, mit ihren sparsamen Details das Drama eines Lebens und noch mehr zu beleuchten. Den Rahmen bildet Cathals Weg vom Büro, wo er unter den schwer zu deutenden Blicken der Kollegen die Form wahrt, zur Bushaltestelle und schließlich in die Wohnung, wo er die bereitgestellte Flasche Champagner in sich hineinkippt, vor dem Fernseher einschläft, aufwacht und ins Bett wankt, während er an seine Ex-Verlobte und andere Frauen denkt, die er mit einem sexistischen Kraftausdruck bedenkt - demselben Wort, das er der Französin Sabine gegenüber als zwar unter irischen Männern durchaus häufig verwendet bezeichnet hatte, das aber gleichwohl "nicht viel zu bedeuten" habe: "So reden wir halt."

Eingebettet in die Geschichte jenes Tages sind Erinnerungen Cathals an die Zeit mit Sabine, wobei seltsam blass bleibt, was beide aneinander finden. Sie treffen sich ein paar Mal, dann bleibt sie über Nacht, er fragt sie, ob sie bei ihm einziehen möchte, spricht von Kindern und kommt mit den Konsequenzen dieser Überlegungen nicht zurecht, etwa als ihm erst nach ihrem Umzug klar wird, dass er ihr ja Platz machen muss. Und auch die Ausgaben für ein gemeinsames Leben gefallen ihm nicht.

Es ist keine triviale Frage, wann diese Geschichte eigentlich spielt. Es ist ein Freitag, der 29. Juli, Lady Di ist schon tot, zudem sind Netflix und Mobiltelefone allgemein verbreitet - die Zeit der Handlung kann demnach nicht länger als zwei Jahrzehnte zurückliegen, eher weniger. Umso fassungsloser wird man beim Lesen, weil man viele von Cathals Vorstellungen, allen voran sein Frauenbild, eher in den Fünfzigern verortet hätte. Die Erzählerin, die insgesamt seine Perspektive einnimmt, gibt sich große Mühe, dies als Folge seiner Prägung durch die irische Gesellschaft zu erklären - er hat in seiner Familie gelernt, sich von Frauen bedienen zu lassen und es lustig zu finden, wenn seiner schuftenden Mutter am Abendbrottisch der Stuhl unter dem Hintern weggezogen wird, sodass sie mit den Tellern auf dem Boden landet.

Cathals Schuld aber, so die Erzählerin, ist es, die Zeichen nicht zu sehen und sein Verhalten nicht zu überdenken. Gelegenheit hätte er genug. "Falls ein Teil von ihm sich fragen wollte, wie er sich wohl entwickelt hätte, wäre sein Vater ein anderer Typ Mann gewesen und hätte nicht gelacht, so unterdrückte Cathal den Gedanken." Seinen Geiz hält ihm Sabine vor und identifiziert ihn als Kern aller Misogynie. Und selbst im Rahmen einer Busfahrt verweigert er die Begegnung mit einer neben ihm sitzenden Frau, die Roddy Doyles einschlägigen Roman "Die Frau, die gegen Türen rannte" liest, in dem Cathal einiges über familiär tradierte Frauenfeindlichkeit lernen könnte. Die Erzählerin konfrontiert ihn fast penetrant mit Warnhinweisen. An ihr liegt es nicht, wenn ihr Geschöpf nicht ist, wie es sein sollte.

All das gibt sich diskret, ist aber so dick aufgetragen, dass die Botschaft überdeutlich wird und letztlich auch die Glaubwürdigkeit der zentralen Figur beschädigt. Cathal wird vorgeführt und angeprangert, gerade indem seine Perspektive eingenommen wird, ohne dass wir ihm tatsächlich näher kämen. Immerhin taugt die Erzählung als Beispiel dafür, was passiert, wenn man Protagonisten eine literarische Bühne bereitet, ohne sie letztlich zu respektieren. TILMAN SPRECKELSEN

Claire Keegan: "Reichlich spät". Erzählung.

Aus dem Englischen von Hans-Christian Oeser. Steidl Verlag, Göttingen 2024. 64 S., geb.

© Alle Rechte vorbehalten. Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt.

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LovelyBooks-BewertungVon ENI am 02.02.2025
Claire Keegan beweist einmal mehr, dass grosse Literatur keine epische Länge braucht. Mit nur 64 Seiten gelingt ihr ein eindrucksvolles, tiefgründiges Werk, das von einer gescheiterten Liebe erzählt - leise, präzise und voller melancholischer Schönheit.Im Mittelpunkt steht Cathal, ein Mann, der in einem trostlosen Büroalltag gefangen ist und dem etwas Entscheidendes fehlt. Als er an einem Sommertag den Bus in sein Heimatdorf nimmt, begegnet er einer jungen Frau, und plötzlich holen ihn Erinnerungen ein: an Sabine, die Frau, mit der er hätte leben können - wenn er ein anderer gewesen wäre. In dieser knappen, aber eindringlichen Erzählung entfaltet sich das Drama einer vertanen Chance, eines Lebens, das von Zögern und Verpassen geprägt ist.Keegan schreibt mit einer bewundernswerten Zurückhaltung. Sie wertet nicht, sie erklärt nicht - sie zeigt. Durch Cathals Gedanken und Handlungen lernen wir ihn kennen, ohne dass die Autorin für ihn Partei ergreift. Gerade diese subtile Erzählweise macht den Text so intensiv. Mit wenigen, genau gesetzten Worten erzeugt sie Stimmungen, verdichtet Momente und bringt uns ihren Protagonisten auf eine Weise näher, die unter die Haut geht.Einzig das Cover bleibt rätselhaft - der Bezug zum Inhalt erschliesst sich nicht sofort. Doch das schmälert keineswegs die Wirkung dieses Buches. Reichlich spät zeigt, wie viel Tiefe in wenigen Seiten stecken kann.
LovelyBooks-BewertungVon schillerbuch am 01.02.2025
Ein großartiges Buch, das lange in mir nachhallte ¿ inhaltlich, sprachlich und noch dazu in wunderbarer Gestaltung. Claire Keegan ist eine echte Entdeckung für mich und so musste ich natürlich dieses soeben im Steidl Verlag erschienenes Buch auch lesen. Und wie bei den anderen Büchern von ihr, bin ich auch von diesem begeistert.Nur knapp 50 Seiten benötigt sie, um die Geschichte einer gescheiterten Beziehung zu erzählen: An einem Sommertag in Dublin, sitzt Cathal im Büro und arbeitet lustlos an seinem Budgetplan, sein Chef drängt ihn, rechtzeitig Feierabend zu machen, eine Kollegin fragt ihn, ob alles ok ist - wir merken, das ist es nicht. Aber  erst als wir Cathal in den Bus in sein Heimatdorf begleiten und ihm gegenüber eine junge Frau Platz nimmt, deren Parfüm einen Duft verströmt, wie ihn sicher Tausende Frauen verströmen, ahnen wir, was ihn beschäftigt: Er beginnt er sich zu erinnern und wir erfahren von seiner Liebe zu Sabine, der "Frau, mit der er hätte leben können, wäre er ein anderer Mann gewesen" wie es im Klappentext des Verlages heißt. Fast 2 Jahre war er mit ihr zusammen, sie schielt ein wenig, kocht gut und es gefällt ihr offensichtlich in Arklow. "Warum heiraten wir nicht?" fragt Cathal eines Tages und nach kurzem Zögern stimmt Sabine zu. Das ändert alles, denn Sabine zieht nun zu Cathal und sie nimmt sich ihren Raum, viel zu viel für Cathals Geschmack. Und überhaupt gibt sie zuviel Geld aus und will zumindest über die Hälfte mitbestimmen. Wir ahnen es fast von Anfang an: Das kann nicht gutgehen.Es ist ganz großartig, wie es Claire Keegan gelingt, ihre Leser:innen von Beginn an in die Geschichte hineinzuziehen. Mich hatte sie schon auf der ersten Seite mit dem Satz "So vieles verlief reibungslos, ungeachtet des Gewirrs menschlicher Enttäuschungen und des Wissens, dass alles einmal enden muss." Das sagt eigentlich auch schon alles über den Inhalt der Erzählung, in der eben nicht alles reibungslos verläuft und deren Thema eine große Enttäuschung und ein Ende sind. Dabei erweist sie sich auch dieses Mal als Meisterin der Erzählweise, alles aus der Perspektive eines Menschen, in dem Fall Cathal, zu erzählen, ihn dabei jedoch nur durch seine Handlungen und Gedanken zu charakterisieren, ohne für ihn Partei zu ergreifen. Wir lernen ihn als Mann kennen, der sparsam bis geizig und in seinem tiefsten Inneren zutiefst frauenfeindlich ist. Dazu kommt der meisterhafte Gebrauch einer vollkommen verknappten Sprache. In wenigen Worten kann sie Stimmungen erzeugen, für das große Missverständnis zwischen Sabine und Cathal braucht sie nur wenige Sätze, mit denen sie den Einzug Sabines in Cathals Haus beschreibt: "Ich habe einfach nicht gedacht, dass es so sein würde, das ist alles", sagte er. Ich habe gedacht, du bist hier und isst mit mir zu Abend, und ich wache mit dir auf. Vielleicht ist es einfach zu viel Wirklichkeit." (S. 38) Gegen Ende des Buches, beginnt man als Leser:in auch zu ahnen, was es mit diesem Tag in Cathals Leben, an dem die Erzählung spielt, auf sich haben könnte. Und mit dem letzten Satz erschließt sich auch der Titel, der vom Verlag sehr gut gewählt ist.Fazit: Ein großartiges Buch, das lange in mir nachhallte -  inhaltlich, sprachlich und noch dazu in wunderbarer Gestaltung. Absolute Leseempfehlung!