Claire Keegan beweist einmal mehr, dass grosse Literatur keine epische Länge braucht. Mit nur 64 Seiten gelingt ihr ein eindrucksvolles, tiefgründiges Werk, das von einer gescheiterten Liebe erzählt - leise, präzise und voller melancholischer Schönheit.Im Mittelpunkt steht Cathal, ein Mann, der in einem trostlosen Büroalltag gefangen ist und dem etwas Entscheidendes fehlt. Als er an einem Sommertag den Bus in sein Heimatdorf nimmt, begegnet er einer jungen Frau, und plötzlich holen ihn Erinnerungen ein: an Sabine, die Frau, mit der er hätte leben können - wenn er ein anderer gewesen wäre. In dieser knappen, aber eindringlichen Erzählung entfaltet sich das Drama einer vertanen Chance, eines Lebens, das von Zögern und Verpassen geprägt ist.Keegan schreibt mit einer bewundernswerten Zurückhaltung. Sie wertet nicht, sie erklärt nicht - sie zeigt. Durch Cathals Gedanken und Handlungen lernen wir ihn kennen, ohne dass die Autorin für ihn Partei ergreift. Gerade diese subtile Erzählweise macht den Text so intensiv. Mit wenigen, genau gesetzten Worten erzeugt sie Stimmungen, verdichtet Momente und bringt uns ihren Protagonisten auf eine Weise näher, die unter die Haut geht.Einzig das Cover bleibt rätselhaft - der Bezug zum Inhalt erschliesst sich nicht sofort. Doch das schmälert keineswegs die Wirkung dieses Buches. Reichlich spät zeigt, wie viel Tiefe in wenigen Seiten stecken kann.