Die Migrationsforscherin und Kulturwissenschaftlerin Judith Kohlenberger zeigt, welch hohen Preis wir für unsere Abschottung zahlen und setzt der neuen Härte ein Konzept der Zugewandtheit und Empathie entgegen.
»Ein kluges und wichtiges Buch, das hoffentlich die Debatten auf den Kopf stellen wird. « Jagoda Marinic
Seit Europas großer »Flüchtlingskrise« 2015 tritt eine neue Härte in Wort und in Tat zutage. Die Normalisierung des Leids und Elends an unseren Grenzen machte uns gleichgültiger, apathischer und kälter gegenüber Minderheiten und Marginalisierten. Fatal wirkte die Strategie, "den Rechten" das Wasser abzugraben, indem man deren Positionen und Diskurse übernahm. Ist es doch erst die Anbiederung an die extremen Ränder, die Illiberalität und Autoritarismus erstarken lässt, Gesellschaften intoleranter und radikaler macht.
Die Migrationsforscherin und Kulturwissenschaftlerin Judith Kohlenberger zeigt eindrücklich, welch hohen Preis wir für unsere Abschottung vom anderen zahlen - und setzt dem das Konzept der Zugewandtheit entgegen.
Ihr Buch ist ein Plädoyer dafür, der Härte die Stirn zu bieten, indem man an der vermeintlich harten Grenze zum anderen Raum für Austausch, Nähe und Demokratisierung schafft; kleine Löcher in die Mauern der Gegenwart bohrt, um das Neue, Fremde, Inspirierende hineinzulassen; mehr spürt, nicht weniger. Eben einander zugewandt bleibt.
»In ihrem neuen Buch zeigt Judith Kohlenberger auf höchst beeindruckende Weise, wie eng unsere gesellschaftlich drängenden Probleme mit den Fragen von Migration und Flucht verknüpft sind. Während sich die Europäische Union an ihren Grenzen mehr und mehr von einem Konsens der Menschlichkeit verabschiedet, der auf den Zweiten Weltkrieg und den Holocaust folgte, erreicht die dort erprobte Härte zusehends auch das Innere unserer Gesellschaft und unseres Alltags. « Mirjam Zadoff
»Die Perspektive von Judith Kohlenberger ist bedingungslos menschlich. Mit ihrem wissenschaftlichen Werkzeug und ihrem Blick auf die Wirklichkeit. Das macht das Buch wertvoll, manchmal verstörend, immer anregend. « Isabel Schayani
»Nur wer den Einzelnen in seiner Andersartigkeit anerkennt und vor allem aushält, kann sich der Welt in all ihrer Vielfalt annähern. Neugier und Offenheit sind Judith Kohlenbergers humanistische Werkzeuge - und sie verwendet sie wie kaum eine Zweite. « Anna Schneider
Besprechung vom 03.12.2024
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Judith Kohlenberger plädiert für Empathie
Zugewandtheit und mehr Durchlässigkeit zwischen gesellschaftlichen Gruppen, dafür spricht sich Judith Kohlenberger in ihrem Buch "Gegen die neue Härte" aus. Zumindest an der Zugewandtheit werden die meisten nichts auszusetzen haben. Die sogenannte Durchlässigkeit stellt aber ein ganz anderes Problem dar, eines nämlich, dessen Ursprung die österreichische Kulturwissenschaftlerin in der Flüchtlingskrise 2015 sieht. Zunächst noch von einer Willkommenskultur geprägt - man erinnere sich an gesammelte Kleidung, Menschentrauben an Bahnhöfen und ein virales Selfie mit Angela Merkel -, hätten sich Verhalten und Denkweisen der Bürger angesichts überlaufender Auffanglager und Gewalttaten durch Flüchtlinge bald geändert.
Migranten und Menschen auf der Flucht sowie die Härte, mit der man ihnen begegnet, sind Kohlenbergers Fokus. Auch auf Vertriebene in den USA, vorwiegend aus Mexiko und anderen lateinamerikanischen Ländern, nimmt sie Bezug. Andere marginalisierte Menschen, beispielsweise aus der LGBTQIA+-Bewegung, erwähnt sie nur am Rande. Das gilt auch für Straftaten durch Menschen mit Migrationsgeschichte, die seit den Geschehnissen in der Kölner Silvesternacht 2015 nicht aus der öffentlichen Debatte verschwinden.
Lieber geht Kohlenberger auf metaphorische Ebenen der "Härte" und "Durchlässigkeit" ein. Die Natur etwa erscheine uns "hart und erbarmungslos", aber sie lasse "den Menschen bereitwillig teilhaben". So schreibt Kohlenberger der Natur, was auch immer das genau ist, einen Willen zu, wobei das Fazit lautet: "Das Sein wäre damit ein konstanter Aushandlungsprozess zwischen dem eigenen Selbst, den Lebewesen, die mich erhalten und tragen, und denen, die mein Sein berühren und in die wiederum ich hineindränge. Durchlässigkeit auf allen Ebenen ist es, die unser Sein in der Welt - der 'natürlichen' wie auch der menschengemachten - bestimmt."
Schutz sei insofern nicht in einer wie auch immer gestalteten Härte zu entdecken, "sondern in der Zugewandtheit, in einer Auf- und Annahme (der grundlegenden Logik) alles Natürlichen". Die Autorin plädiert mithin für mehr Aufnahmebereitschaft, auch für das Hässliche, das Gewaltvolle in der Welt. Doch was bedeutet das? Ähnlich der verbreiteten, aber konsequenzlosen Aussage, Ambivalenzen müsse man aushalten können, wirft das Konzept vor allem Fragen auf. Das Buch sei, so betont Kohlenberger, weder ein Plädoyer für endlose Weichheit noch grenzenlose Offenheit oder offene Grenzen, denn Grenzenlosigkeit sei sowohl auf persönlicher als auch politischer Ebene "selten eine gute und nie eine gefahrlose" Idee. Die Autorin fordert ein Umdenken, stellt aber keine klaren politischen Forderungen. LAURA ALBERMANN
Judith Kohlenberger: "Gegen die neue Härte".
dtv Verlag, München 2024. 256 S., geb.
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