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Die Winterschwimmerin

Verslegende | Über die Gründe, in eisigem Wasser zu schwimmen

220 Lesepunkte
Buch (gebunden)
22,00 €inkl. Mwst.
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Thekla schwimmt in offenen Gewässern, auch bei eisigen Temperaturen. Sie versteht es als ganzkörperlichen Erkenntnisprozess und versucht in der winterlichen Landschaft sich selbst und dem Verhältnis von Leib und Seele, Natur und Geist auf den Grund zu gehen. Während sie in das atemberaubend klare Wasser eintaucht und mit der Gewalt der Kälte umgeht, findet sie zu einem Gefühl von Freiheit und Autonomie. Dann begegnet sie einem entlaufenen Tiger.

Marion Poschmann gelingt es, Wahrnehmungen und Einsichten ihrer Figur im kunstvollen sprachlichen Ausdruck verschmelzen zu lassen, so wie sich in diesem höchst gegenwärtigen Text auch Milieustudie und Legende, Erzählung und Dichtung durchdringen. Freie und gebundene Verse gipfeln in einer modernen Adaption des Leichs, des mittelalterlichen, virtuos gereimten Meistergedichts.

Produktdetails

Erscheinungsdatum
23. Februar 2025
Sprache
deutsch
Seitenanzahl
80
Autor/Autorin
Marion Poschmann
Verlag/Hersteller
Produktart
gebunden
Gewicht
196 g
Größe (L/B/H)
213/139/12 mm
ISBN
9783518432358

Portrait

Marion Poschmann

Marion Poschmann wurde in Essen geboren und lebt heute in Berlin. Für ihre Lyrik und Prosa wurde sie mit zahlreichen renommierten Preisen ausgezeichnet, unter anderem mit dem Bremer Literaturpreis 2021 für ihren Lyrikband Nimbus und im selben Jahr mit dem WORTMELDUNGEN-Literaturpreis. Zuletzt erhielt sie 2023 den Joseph-Breitbach-Preis für ihr Gesamtwerk.

Pressestimmen

». . . formidable Poesie. . . . Wer sich Sorgen um unsere Welt macht, aber keine Lust mehr auf noch mehr Sachbücher, Thesenromane oder Manifeste hat, wer sich denkt, dass es nicht nur wichtig ist, was wir sagen, denken und tun, sondern auch, wie wir das machen, sollte Die Winterschwimmerin lesen. « Sabine Rohlf, Berliner Zeitung

». . . eine zauberhafte Verslegende. « Anne Hahn, neues deutschland

»Man hat den Eindruck, dass [Poschmann] nichts entgeht. Es ist die dauerhafte Wachheit der mäandernden Texte, die einen freundlich, beharrlich und aufgeschlossen weiterzieht. « Judith von Sternburg, Frankfurter Rundschau

». . . ein Wagnis und zugleich ein erzählerischer Triumph. « Tilman Spreckelsen, Frankfurter Allgemeine Zeitung

»Der elegante Ton und die Klangfarben dieses Buches verhelfen uns zu einer seltenen Erfahrung: wahrer Schönheit. « Björn Hayer, Die Presse, Spectrum

»Diese Poetik ist ins Offene entworfen, will niemals Abschluss sein, kein Monolith, immer Flamme, die stetig weitergetragen wird, hin zum nächsten Text. « Jan Drees, Deutschlandfunk Büchermarkt

»[Die Winterschwimmerin ist reich an] präzisen Beobachtungen, Poesie und Frost schließen sich nicht aus. « Radio Bremen

»Gerade einmal 80 Seiten lang ist dieses außergewöhnliche Buch. Aber kaum hat man es ausgelesen, möchte man es gleich wieder von vorn beginnen. « Joachim Dicks, NDR Kultur

Besprechung vom 22.02.2025

Frau trifft Tiger, die Welt steht still

Wer möchte heute noch Verslegenden lesen? "Die Winterschwimmerin", Marion Poschmanns jüngstes Buch, ist ein Wagnis und zugleich ein erzählerischer Triumph.

Als Thekla an jenem Vorfrühlingstag in der kalten Ostsee badet, fliegt plötzlich am Ufer ein Schwarm Möwen auf. Der Grund dafür wird erst allmählich enthüllt: Durchs Uferschilf schleicht ein Tiger heran, der am Strand seine Freiheit genießt, einem Algenknäuel hinterherjagt, sich schließlich auf einem Wäschebündel niederlässt - Theklas vor dem Baden abgelegter Kleidung.

Was dann kommt, "jene Begebenheit, / bei der sich zwei zu einem jähen Feld / aus Glast und Glanz und Jetzt zusammenfanden", steht im Zentrum von Marion Poschmanns Buch "Die Winterschwimmerin", das die Autorin mit der einleuchtenden Gattungsbezeichnung "Verslegende" versehen hat. Neun Kapitel, gehalten in formal sehr unterschiedlichen Versgruppen, erzählen eine Geschichte mit legendenhaften Zügen, die im Abschnitt "Dem Tiger begegnen" am deutlichsten werden, etwa wenn Thekla aus dem Wasser steigt und dem Strand entgegen läuft: "Im Sonnenglast / bereits umrahmt von ein, zwei Gloriolen, / und somit aufgereiht / in einer Linie mit den ganz Großen, / in eine Kette mit den Heiligen gefasst, / oder ein Scheit, / bereit, / zu jeder Zeit / einfach aus sich heraus zu lodern."

Der Rückgriff auf Attribute der Heiligenlegende liegt nahe, denn Poschmann nennt als eine wesentliche Anregung für ihren Text eine apokryphe Schrift aus dem Umfeld des Neuen Testaments. In den "Akten des Paulus und der Thekla" wird erzählt, wie der Missionar Christi auch in die anatolische Stadt Iconium kommt, das heutige Konya, wo ihm die junge Thekla zuhört und zur Anhängerin der neuen Religion wird. Sie besucht Paulus im Gefängnis, wird schließlich selbst als Christin angeklagt und den wilden Tieren vorgeworfen, die sie aber verschonen und in ihrer Gegenwart überhaupt erstaunlich friedlich sind. Es gibt aber noch eine zweite literarische Quelle, die Poschmann zitiert: Goethes "Novelle", die aus dem Plan eines Versepos entstand und von der Tötung eines aus einer Menagerie entsprungenen Tigers erzählt. Ein ebenfalls freigekommener Löwe dagegen, der in derselben Gefahr schwebt, wird von einem Knaben besänftigt, durch Flötenspiel und beruhigende Verse, bis er sich wieder in seinen Käfig führen lässt.

All das kommt in Poschmanns Buch zusammen, inhaltlich und formal, ein schwaches Echo aus Konya, der Hochburg des auf Musik gebauten Sufismus, gerät ebenfalls über die Theklageschichte in das Werk. Doch die Begegnung zwischen der Badenden und dem Tier weist noch darüber hinaus: "Sie liegt beim Tiger, und die Welt steht still", heißt es, und: "Der Tiger rührt sich nicht; es könnte glücken, / den Kosmos aus verstreuten Einzelstücken / für einen Augenblick ins Gleichgewicht zu rücken."

Wer heute reimt, bewegt sich auf einem schmalen Grat, jederzeit vom Absturz in die Gefilde des trivialen Klangs bedroht, und das umso mehr, je regelmäßiger das Versmaß fällt, je gleichförmiger das Reimschema. Es ist mutig, sich dem Zwang der gebundenen Form auszusetzen, dem Verdacht, ein bestimmtes Wort stehe nur deshalb an seiner Stelle, weil es der Reim verlange.

Auch Poschmann ist vor einem solchen Verdacht nicht gefeit, bisweilen scheint es sogar, als böte sie ihm absichtlich die Stirn: "Der Tiger hat die Pfoten eingerollt / und unters Kinn gebettet. Thekla zollt / dem Kinn Respekt, den Lefzen und dem Rachen, / sie reizt ihn nicht. Der Tiger ist ihr hold" - das wirkt gesucht, ein bisschen gespreizt, wer spricht noch davon, jemandem Respekt zu zollen oder jemandem "hold" zu sein? Dass umgekehrt dieser Moment, dieser Nachhall einer Formensprache tatsächlich genau diese Worte motiviert, dass man erstaunt feststellt, solche Worte zunächst als Hemmschuh, dann als passend und schließlich als beides zugleich zu empfinden, macht den Zauber von Poschmanns Dichtung aus.

Um dieses Kapitel, das weiter von der durch die erregte Außenwelt gestörten Idylle handelt und davon, wie Thekla den Tiger schließlich wieder zu seinem Käfig führt und so den Mord in der "Novelle" aufhebt, gruppieren sich andere, die von Thekla, der titelgebenden "Winterschwimmerin", erzählen, von der Naturerfahrung im eiskalten Wasser, das mit dem Himmel korrespondiert, und von dem Einfluss, den eine gewisse Paula, die von Wohnung zu Wohnung zieht, aber nicht als "obdachlos" gelten will, auf Thekla ausübt.

In ihrer Form sind die Verse vor und nach dem Zentrum dieses Buchs ausdrücklich freier, der Reim wird spärlicher, allein die Varianz der Rhythmen bleibt. Dabei gewinnt das Buch, wenn man es laut liest; das bisweilen raffinierte, oft aus dem Inhalt erwachsende Beschleunigen und Stocken der Verse unterstreicht den souveränen Zugriff Poschmanns auf ihren Stoff, und auch der Fokus auf Wärme und Kälte und das Zusammentreffen ihrer Sphären im Eisbad machen aus dem schmalen, stillen Band eine beglückend aufregende Lektüre. TILMAN SPRECKELSEN

Marion Poschmann: "Die Winterschwimmerin". Eine Verslegende.

Suhrkamp Verlag, Berlin 2025. 80 S., geb.

Alle Rechte vorbehalten. © Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt am Main.

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