Spurensuche in einer traumatisierten Familie
KlappentextDer neue Roman von Martin Simons - über die Unfreiheit der Herkunft und eine andere Geschichte aus dem Wirtschaftswunderland Deutschland.DDie Zechensiedlung Beifang am Rande des Ruhrgebiets: Hier lebt in den Nachkriegsjahren der Hilfsarbeiter und zwölffache Vater Winfried Zimmermann ein Leben zwischen Verzweiflung, Armut und lebensbejahender Anarchie.Als Frank, sein Enkel, Jahrzehnte später mit seinem eigenen Vatersein hadert, macht er sich auf Spurensuche. Weil sein Vater schweigt, sucht Frank den Kontakt zu seinen zahlreichen Onkeln und Tanten, die alle von der Kindheit in Armut und der Enge einer Zechenhaushälfte gezeichnet sind.Martin Simons erzählt präzise und leicht von dem verborgenen Fortwirken eines von Mittellosigkeit, Gewalt und Stolz geprägten Milieus, das trotz aller äußeren Widrigkeiten kein Selbstmitleid kennt, und vom Vater- und Sohnsein in einer ungewöhnlichen Familie.Zum Autor (Quelle: Verlag)Martin Simons wuchs in Selm auf und lebt heute mit seiner Familie in Berlin. Er ist Autor und Herausgeber mehrerer Bücher. Zuletzt erschien von ihm "Jetzt noch nicht, aber irgendwann schon" (2019).Mein Lese-EindruckDer Autor stellt seinem Buch ein kluges Zitat des ebenso klugen John Burnside voran, und damit ist die Stoßrichtung des Buches klar: es geht hier um Vaterschaft, um das, was man selber davon erzählt und um das, was andere einem davon erzählen.Der Ich-Erzähler Frank hat sich zwar mit Abitur, Studium und Wegzug seiner Familie entzogen, aber seine ehrgeizigen Lebenspläne zerschlagen sich, und er wurschtelt sich beruflich und auch privat mehr recht als schlecht durchs Leben.Der Verkauf und die Räumung des großelterlichen Zechenhauses lässt ihn nun auf Spurensuche gehen. Er trifft einige seiner 11 Onkel und Tanten, und wie bei einem Puzzle setzt er sich die Familiengeschichte, vor allem die Geschichte seines Großvaters Winfried zusammen. 12 Kinder in einem 60 qm großen Zechenhaus. Es ist kaum zu glauben, dass es so viel Armut, so viel Hunger und Verwahrlosung im Deutschland des Wirtschaftswunders gegeben hat - und so viel rohe und brutale tägliche Gewalt, Demütigungen und soziale Missachtung.Da leuchtet das eigentliche große Thema auf: die Weitergabe von Traumata von einer Generation an die nächste, und der Ich-Erzähler erkennt seinen eigenen und den Platz seines Vaters in dieser Verstrickung.Und so erklärt sich auch der Titel: Beifang ist nicht nur der Name der Zechensiedlung bei Selm, sondern Beifang ist in der Fischersprache das, was eher zufällig ins Netz gerät und wieder ins Meer geworfen wird, teilweise schwer verletzt. Hier in diesem beklemmenden Roman wird dem Leser klar, dass vier Generationen der Beifang sind: die Kinder, der Vater und auch der Ich-Erzähler und sein Sohn. Sie haben überlebt, aber sind seelisch verwundet.Das alles erzählt Simons in einer unsentimentalen, immer ruhigen Sprache, ohne jede Larmoyanz.Ein wichtiges Buch, dem man mehr Leser wünscht.