Besprechung vom 30.08.2022
Gefahrvoll ist die Welt
Die Historikerin Miriam Gebhardt beruft sich in ihrem Buch über Nachkriegeltern und Babyboomer auf wissenschaftliche Erkenntnisse, erzählt autobiographische Anekdoten und zitiert Einträge aus dem deutschen Tagebucharchiv. Ein wenig überraschender Befund lautet, dass das Sicherheitsbedürfnis für die Nachkriegseltern besonders hoch war, dreifache Schlösser sollten vor einer "grundsätzlich feindlichen und gefahrvollen Welt" schützen. Auf den Verlust von Eigentum im Krieg folgte große Sparsamkeit. Die Erziehung der Nachkriegszeit beruhte Gebhardt zufolge vor allem darauf, die körperlichen Bedürfnisse des Kindes zu befriedigen. So wurde etwa oft nach strikten Zeitplänen gestillt.
Hinzu kommt die patriarchalische Familienpolitik der Zeit nach 1945. Wenn die Ehefrau sich scheiden lassen wollte, musste sie nachweisen, dass der Mann sich "fehlerhaft" verhalten hatte. War das nicht möglich, erlosch ihr Anspruch auf gemeinsame Besitztümer, Unterhalt oder spätere Witwenrente. Diese Erfahrungen zeigten der Babyboomer-Frau, wie wichtig die Unabhängigkeit vom Ehemann ist. Sie machte also eine Ausbildung oder studierte, gab ihre Erwerbstätigkeit dennoch oft wieder auf, um sich der Kindererziehung zu widmen. Laut Gebhardt schwankt sie zwischen zwei Extremen: "Sei erfolgreich . . . und bekoche deinen Mann." Kindheit und Jugend der Babyboomer waren geprägt von der "Gefühlstaubheit der Wiederaufbaugesellschaft", aber auch von zunehmenden "Liberalisierungsschüben in Gesellschaft und Privatleben". Doch lassen sich diese Erkenntnisse wirklich allgemein fassen? Einmal schreibt Gebhardt, sie wolle "deutsche Geschichte als Familiengeschichte" erzählen. Das jedenfalls nimmt sie ernst. VANESSA FATHO
Miriam Gebhardt: "Unsere
Nachkriegseltern". Wie die Erfahrungen unserer Väter und Mütter uns bis heute prägen.
Deutsche Verlags-
Anstalt, München 2022. 288 S., geb.
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