Besprechung vom 15.01.2025
Gottvertrauen ist nicht so einfach zu ersetzen
In theologischer Ausarbeitung war sie am überzeugendsten: Jonas Grethlein und Philip Blom widmen sich der Hoffnung
Diese zwei Bücher über Hoffnung könnten unterschiedlicher kaum sein. Philipp Blom verzichtet in seinem trotz einiger Reminiszenzen auf jeden historischen Zugang zum Thema. Stattdessen geht er von den aktuellen Bedrohungsszenarien aus und schreibt nieder, was ihm dazu eingefallen ist. Ersetzt wird das Fehlen einer argumentativen Perspektive durch Berichte über Begegnungen mit Freunden, Beobachtungen im Alltag und Erfahrungen auf Reisen.
Das liest sich zum Teil wie der Besinnungsaufsatz eines ambitionierten Schülers ("Goethe war in die Wissenschaften seiner Zeit verliebt"), zum Teil wie das krampfhafte Ringen um anspruchsvolle Einsichten ("Diese Sehnsucht nach Sinn macht aus Homo sapiens geschichtserzählende Tiere") und zum Teil wie der hilflose Versuch einer Kumpanei mit den großen Autoren der Vergangenheit ("Besonders für meinen alten Freund Denis Diderot war der Gedanke unerträglich, dass nichts bleiben würde von ihm"). Wer diese Zitate für Ausrutscher hält, den belehrt die Lektüre. Das Buch ist voll von solchen Sätzen, die oft in banale oder abwegige Fragen münden ("Woher weiß ich, dass es die Antarktis gibt?"). Bleibt die Frage, warum der Hanser Verlag ein solches Buch veröffentlicht hat.
Bei Grethlein handelt es sich dagegen um eine gedanklich und sprachlich souveräne Darstellung zur Geschichte der Zuversicht, wie das zentrale Synonym des Buches lautet. Seine Bedeutung liegt vor allem darin, dass der Verfasser zeigt, wie stark sich die Hoffnungsauffassung im Laufe der Jahrtausende gewandelt hat. Einem Vertreter der klassischen Philologie kommt die weit zurückreichende Tradition des Begriffs entgegen, doch widmet sich der Autor auch Entwicklungen in Moderne und Gegenwart.
Wie Blom charakterisiert auch Grethlein Hoffnung nicht als Affekt, sondern als Weltverhältnis oder Weltverhalten. Anders als Blom aber bemüht er sich um klare begriffliche Unterscheidungen, die sich für die dann folgenden Erläuterungen zum Begriffswandel als hilfreich erweisen, selbst wenn sie für die Moderne nicht jene Tragkraft haben wie für Antike und frühes Christentum und deren Rezeption in der Aufklärung.
Grethlein geht von Texten der frühgriechischen Dichtung aus und zieht von dort eine Linie zur römischen Literatur, Philosophie und Geschichtsschreibung. Ein gemeinsames Kennzeichen der gesamten antiken Hoffnungsauffassung sei die Betonung der Ambivalenz zwischen Realitätsbezug und Realitätsflucht, zwischen reflektierter Zuversicht und weltfremdem Wunschdenken. Solche Bewertungen könnten in den Texten der Antike nebeneinanderstehen oder auch miteinander konkurrieren.
Im frühen Christentum ist der Wandel der Hoffnungsidee nach Grethlein eingreifender als in früheren und späteren Epochen, da diese sich nicht mehr auf das Leben in der Welt, sondern auf die Ewigkeit richtet, also mit der Erwartung der Wiederauferstehung und Unsterblichkeit verbunden werde. Glaube, Gottvertrauen und Hoffnung seien deshalb eng miteinander verbunden. Diese Trias wird, wie der Verfasser zeigt, in Paulus' Römerbrief und Texten von Augustinus eingehend reflektiert und in der mittelalterlichen Dichtung und Theologie bearbeitet.
Grethlein zeigt dann an zentralen Texten von Descartes, Hobbes, Pope, Voltaire, Wolff und Kant, dass in der europäischen Aufklärung zwar neue religionsphilosophische und anthropologische Akzente gesetzt werden, aber kein eingreifender Wandel stattfindet. Dies geschieht erst im Laufe des neunzehnten Jahrhunderts durch Hegel, Marx und deren Interpreten, indem die Hoffnungsidee mit dem realen Geschichtsverlauf verknüpft und damit säkularisiert wird. Hinweise auf einschlägige Darstellungen von Karl Löwith, Reinhart Koselleck und Hans Blumenberg dürfen in diesem Zusammenhang nicht fehlen.
Schopenhauer und Nietzsche verwerfen in ihren Schriften diese geschichtlichen Hoffnungserwartungen und bereiten damit deren Kritik in der Philosophie des zwanzigsten Jahrhunderts vor. Allerdings weist Grethlein in Werken von Camus bis Adorno und Horkheimer verdeckte Hoffnungsvorstellungen nach, die in den Schriften der Befreiungstheologie seit den Sechzigerjahren wieder die Oberhand gewinnen. Während er auf die Verankerung der Hoffnungsidee in den antirassistischen und antikolonialen Bewegungen der USA und Südamerikas genauer eingeht, wird Blochs monumentales "Prinzip Hoffnung", das zur selben Zeit seinen Siegeszug aufseiten der unorthodoxen Linken begonnen hat, nur sehr knapp behandelt.
Eine Auseinandersetzung mit dem Hoffnungsgedanken der Moderne hätte aber sicher erhellende Aufschlüsse über das gegenwärtige Verhältnis von reflektierter Zuversicht und politischem Illusionismus liefern können und damit zu den Anfängen der Darstellung zurückgeführt. So instruktiv Grethleins abschließender Blick auf die aktuellen Debatten zum Anthropozän ist, so wenig kann er die kritische Auseinandersetzung mit den Ideologien der politischen Linken in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts ersetzen, die in den grün-alternativen Bewegungen ihre Fortsetzung gefunden haben. DETLEV SCHÖTTKER
Jonas Grethlein: "Hoffnung". Eine Geschichte der Zuversicht von Homer bis zum Klimawandel.
C. H. Beck Verlag, München 2024. 352 S., Abb., geb., 28,- Euro.
Philipp Blom: "Hoffnung".
Über ein kluges Verhältnis zur Welt.
Hanser Verlag, Berlin 2024. 184 S., geb.
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