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Besprechung vom 18.02.2025
Gegen das System
Stephan Lamby sondiert die Anziehungskraft demagogischer Politik
Der Autor und Regisseur Stephan Lamby hat einen Cousin aus Connecticut, dessen Charme, Hilfsbereitschaft und rheinisch-amerikanischen Humor er schätzt. Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass Martin ein glühender Trump-Anhänger ist, der sich am 6. Januar 2021 dem Sturm aufs Kapitol anschloss, ausgerüstet mit einer Stars-and-Stripes-Flagge, aber ohne Sturmgewehr. Von jenem Tag, als er loszog, um die Demokratie zu verteidigen, erzählte Martin seinem Cousin Stephan Lamby bei einem Familienfest auf dem Petersberg. Lamby beschäftigte diese schwärmerische und irgendwann in Wut kippende Erzählung schließlich so sehr, dass er sich fragte, warum die lange als stabil geltende demokratische Staatsform in vielen Ländern infrage gestellt, ja angegriffen wird.
Also machte sich Lamby auf den Weg. Er fliegt nach Amerika, Argentinien und Italien und fährt durch Ostdeutschland, um der demagogischen Verführungskraft jenes Politikertypus, der anscheinend durch keine Straftat oder moralische Verfehlung zu Fall gebracht werden kann, auf die Spur zu kommen. Daraus ist das Buch "Dennoch sprechen wir miteinander" entstanden.
Der Titel setzt den Ton. Lamby stellt seinen Gesprächspartnern Fragen, er hört zu, will verstehen, aber er verurteilt nicht. Ihn interessieren die unverstellten Ansichten der Menschen, die er auf seinen Reisen trifft. Trotzdem macht Lamby aus der Erschütterung über seine Erkenntnisse keinen Hehl. Seit beinahe vierzig Jahren, schreibt Lamby, beobachte er politische Prozesse, aber noch nie habe er die Wut auf das herrschende System, die Sehnsucht nach Umsturz und Zerstörung als so tiefgreifend empfunden wie jetzt.
Über diese rechte Zeitenwende wurde insbesondere mit Blick auf Amerika in den vergangenen Monaten viel geschrieben. Es ist also nicht Lambys Schuld, wenn es einem bei seinen Schilderungen aus den USA, wo sich Demokraten und Anhänger der MAGA-Bewegung feindlich gegenüberstehen, nicht mehr kalt den Rücken herunterläuft. Das tut es bei all den Expansionsideen von Donald Trump dafür derzeit beinahe täglich. Erhellend ist Lambys Buch dennoch, weil es der weitverbreiteten Diskursverweigerung innerhalb zerrissener Gesellschaften das Gespräch entgegensetzt - sei es mit Donald-Trump-Fans, Björn-Höcke-Anhängern, Javier-Milei-Verehrern oder italienischen Faschisten. Natürlich hat Redebereitschaft ihre Grenzen, aber diese Grenzen nicht auszuloten, heißt, die Gegenseite abzuschreiben.
Viele der Sorgen, die die Anhänger der Populisten umtreiben, sind bekannt: Angst vor Überfremdung, sozialem Abstieg sowie einer Aushöhlung der Demokratie durch die Eliten - in Amerika verkörpert durch die demokratische Partei und das Washingtoner Establishment. Auch Verschwörungserzählungen wie die vom "Deep State", in dem wenige Machtbesessene die Fäden zum Schaden vieler ziehen und sich bereichern, oder von einer geplanten Umvolkung mischen sich in das Unbehagen.
In Jena sitzt Stephan Lamby einmal mit einer Gruppe Studenten zusammen, es geht um den Graben zwischen Ost- und Westdeutschland, um Klischees, Ressentiments und die Deutungshoheit westdeutscher Medien. "Die meisten Zeitungen, die in Ostdeutschland erscheinen, würden von westdeutschen Verlagen herausgegeben, klagt eine Studentin. So bekäme man im Osten vor allem das zu lesen, was ihnen westdeutsche Medienmanager vorsetzen. Auch die meisten Mitglieder der Bundesregierung kämen aus Westdeutschland, den Ostdeutschen würde eine eigene Stimme fehlen. Die AfD bietet sich als ihre Stimme an, als Stimme derjenigen, die sich als Deutsche zweiter Klasse gering geschätzt fühlen." Wer den etablierten Medien den Rücken kehrt, sucht sich oft im Netz Verbündete. Dort bestärken die Demokratiefeinde einander in ihrem Hass auf den Staat und seine Institutionen - und rufen zur Gewalt auf.
Ob Donald Trump, Björn Höcke und Javier Milei Faschisten sind, fragt Stephan Lamby am Ende seines Buchs und kommt zu dem Schluss, dass sie dem Faschismus jedenfalls näherstünden als der Demokratie. Seine Sorge, was passieren würde, strebten modernere, geschicktere Demagogen an die Macht, die sich die Massenmedien zum Freund machten, ist nachvollziehbar. Lamby schreibt: "Wir leben nicht im Zeitalter des Postfaschismus, sondern des Präfaschismus." Hoffentlich behält er damit nicht recht. MELANIE MÜHL
Stephan Lamby: "Dennoch sprechen wir miteinander". Wie ein Familientreffen zu einer Reise durch die Welt der Demagogen wurde.
C. H. Beck Verlag, München 2025. 248 S., geb.
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