Besprechung vom 19.11.2024
Kühlgase für die Erde
Mit Blick für die Risiken: Thomas Ramge optiert auf klare und nüchterne Weise für eine Variante des Climate Engineering.
Unter den Büchern, die sich mit dem gezielten technischen Kühlen der Erde beschäftigen, sticht "Die Sonne dimmen" von Thomas Ramge hervor. Weder schwelgt der Autor in naivem Technikutopismus wie vergleichbare Werke noch dient ihm das Thema nur als Vorlage für eine Generalabrechnung mit dem Kapitalismus, wie zuletzt in Annette Schlemms Buch "Climate Engineering" (F.A.Z. vom 17. April).
Ramge bietet einen guten Einblick in die Pläne und Vorbereitungen dafür, der zunehmenden Erhitzung der Erdatmosphäre und des Ozeans mit den Mitteln des sogenannten "solar radiation management" entgegenzuwirken, etwa indem große Mengen kühlender Schwefelverbindungen in den Höhenschichten der Atmosphäre versprüht werden. Der Autor legt dabei offen, dass er zu den wenigen zählt, die dem "Geoengineering" grundsätzlich offen gegenüberstehen und dessen Einsatz unter gewissen Umständen für verantwortbar halten. Er gibt aber ebenso ehrlich einen beinahe vollständigen Überblick über die Risiken und Nachteile dieses kühnen Unterfangens und gibt dem Leser dadurch die Möglichkeit, selbst besser urteilen zu können.
Den Hintergrund der Debatten um das künstliche Kühlen der Erde malt Ramge mit angemessener Dramatik aus. Im Moment sei die Menschheit auf Kurs, durch ihre CO2-Emissionen die Erde um bis zu drei Grad Celsius zu erhitzen. Die negativen Folgen, die das heraufbeschwört, überstiegen die Vorstellungskraft. Korallenriffe würden zerfallen, ein Viertel der Menschheit würde jährlich mindestens einen Monat in extremer Dürre leben, Hunderte Millionen Küstenbewohner würden ins Landesinnere umsiedeln müssen. Zudem würden noch weitgehend unbekannte "Kipppunkte" aktiviert, was weitere gewaltige Veränderungen auslösen kann.
Bei diesen Gefahren auf das "Prinzip Hoffnung" zu setzen, also darauf zu vertrauen, dass die nötigen CO-Reduktionen schon kommen werden, reiche deshalb angesichts immer noch wachsender Emissionen nicht. Man müsse über Lösungen nachdenken wie die, dass in einer konzertierten Aktion von Staaten eine Flotte von Jumbojets dafür umgerüstet wird, in zwanzig Kilometer Höhe große Mengen Schwefel oder Schwefelsäure freizusetzen. Zitierten Berechnungen zufolge würden 15 solcher Spezialflugzeuge reichen, um die derzeitige Erwärmung um ein Drittel zu reduzieren.
Dagegen gibt es viele plausible Einwände. "Wenn solares Geoengineering als schnelle Lösung gegen den Klimawandel vermarktet wird, könnte es zur Ausrede einer verantwortungslosen Menschheit werden, den mühsamen Weg der Dekarbonisierung nicht weiterzugehen und den nach wie vor wachsenden Energiehunger der Menschheit bequem mit billiger Kohle, Öl und Gas zu stillen", schreibt Ramge. Und er führt weitere Argumente aus, die gegen die Technik in Stellung gebracht werden, wie etwa unbeabsichtigte Veränderungen von Niederschlagsmustern, eine Ausweitung des Ozonlochs oder eine niedrigere Ausbeute von Solarzellen.
Ein Risiko, das in der Aufzählung fehlt, ist die weitere Versauerung des Ozeans durch fortgesetzte Kohlendioxid-Emissionen. Die Erhitzung mag gebremst werden, die Säureattacke auf Korallenriff würde es nicht. Klar herausgearbeitet wird aber der sogenannte "Terminationsschock", also die plötzliche massive Erhitzung, die einsetzt, sobald die Kühlgase nicht mehr ausgebracht werden.
Das Buch ist deshalb so hilfreich, weil der Autor ausführlich analysiert, was es nun heißt, Risiken des Handelns und Nichthandelns gegeneinander abzuwägen, und nach welchen Prinzipien das geschehen kann. Was Ramge dabei nicht gelten lassen will, sind Denk- oder Forschungsverbote. Ein Bann des Geoengineerings in Form eines "Non-Use Agreement" wird von vielen Umweltverbänden und manchen Wissenschaftlern lautstark gefordert. Der Autor sieht darin die moralische Gefahr unterlassenen Handelns. Nicht als Lösung, sondern als "Zwischenlösung" solle die technische Erdkühlung wenigstens bis zur Anwendungsreife erforscht und entwickelt werden: Wenn dann in Richtung Mitte des Jahrhunderts klar werde, dass die Risiken der Erhitzung zu groß seien, hätte man wenigstens noch ein Mittel an der Hand.
Ramge verschweigt nicht, was für eine komplizierte Welt dann entstünde: Denn auch ein Elon Musk oder ein Schurkenstaat könnten einseitig zum Geoengineering greifen. Das Buch bietet einen wohldurchdachten Stufenplan, wie die Vereinten Nationen einen Rechtsrahmen schaffen könnten, mit dem die Klimamanipulation kontrolliert erfolgt - und nicht als Ersatz für Handeln bei den Emissionen. Ein Szenario aus dem Jahr 2040 malt mit bewundernswertem Optimismus aus, wie eine solche Entscheidung sogar mit einer globalen Volksabstimmung legitimiert werden könnte.
Doch auch wenn der Autor etwas zu häufig mit David Keith von der Universität Harvard den wissenschaftlichen Vorkämpfer des Geoengineerings zitiert, lässt er immer erkennen, dass er selbst kritisch bleibt: "Zunächst vermurkst die menschliche Gattung aus Dummheit und Gier genau das Klima, das es ihr ermöglicht hat, zu prosperieren", schreibt er über sein eigenes "Störgefühl" beim Umgang mit dem Thema, "dann glaubt diese Gattung in ihrer Selbstherrlichkeit auch noch, das vorindustrielle Klima wiederherstellen zu können, indem sie am Thermostat des Erdsystems herumstellt." Genau diese Reflektiertheit macht die Argumentation des Buchs für eine verstärkte Erforschung des Sonnendimmens so interessant und vielleicht selbst für manchen instinktiven Gegner überzeugend. Christian Schwägerl
Thomas Ramge: "Die Sonne dimmen". Wie Geoengineering die Menschheit vor der Klimakatastrophe retten kann.
Penguin Verlag,
München 2024. 208 S., Abb., geb.
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