Besprechung vom 16.04.2024
Die seelischen Kosten der Einbürgerung
Mustergültige Migrantin: Das Erzähldebüt "Ein schönes Ausländerkind" der österreichischen Autorin Toxische Pommes
Alles in dieser Lebensgeschichte steuert auf ein Ziel zu - Österreicherin zu werden. Doch da wir im Genre der Autofiktion unterwegs Richtung Staatsbürgerschaft sind, sollte man sich hüten, alles, was der namenlosen Icherzählerin widerfährt, für ein Stück aus dem richtigen Leben der Autorin zu halten. Als Kunstfigur hat sie sich den Namen Toxische Pommes gegeben, ihren Nachnamen behält sie für sich. Und ist ziemlich gut darin, ihr Image zu steuern und nur als die promovierte Juristin Irina bekannt zu sein, die in einer nicht näher spezifizierten Wiener Behörde arbeitet.
In den sozialen Medien hat sie reichlich Anhänger und Follower, mehr als 270.000 auf Instagram, mehr als sieben Millionen Likes auf Tiktok. Und das innerhalb von nur vier Jahren: Während der Pandemie begann Toxische Pommes, meist nur fünfzehn Sekunden dauernde Sketche ins Netz zu stellen. Darin schlüpft Irina in viele Rollen, mit Perücken und aufgemalten Bärten, und spielt, was Karl Kraus als österreichisches Antlitz gegeißelt hatte. Die Sketche sind treffsicher, bösartig und sehr komisch. Das digitale Engagement mündete mittlerweile in das analoge Kabarettprogramm "Ketchup, Mayo und Ajvar", da war es nur noch eine Frage der Zeit, wann das Buch kommen würde.
"Ein schönes Ausländerkind" erzählt auf schlanken zweihundert Seiten die Geschichte einer Integration. Die Eltern der Icherzählerin fliehen vor dem nahenden Krieg aus Jugoslawien. Ihr Wohnort, das kroatische Rijeka, ist für die aus Montenegro stammende Mutter und den serbischen Vater nicht mehr sicher, weil sie aufgrund ihrer Herkunft plötzlich als Landesverräter bedroht werden. Sie landen mit der zweijährigen Tochter in Wiener Neustadt, das wenig vom historischen Wien hat, aber viel von industrieller Neustadt. Die Menschen dort schienen "so gut wie alles zu hassen, was aus dem Osten kam", obwohl "ihre Gebäude jenen im Ostblock verdächtig ähnelten".
Sie finden Aufnahme bei Renate Hell, kettenrauchende Lehrerin in Teilzeit an einer Hauptschule, die sich als "Frau Doktor Hell" ansprechen lässt, weil ihr Mann promoviert ist. Um freie Kost und Logis einzuspielen, müssen die "Balkanesen" eine Existenz als Haussklaven ertragen. Die Tochter ist strebsam und wächst zur mustergültigen Migrantin heran (beinahe der richtige Glauben, isst Schweinefleisch), und auch wenn sie trotz bester Noten nur die Empfehlung für die Hauptschule bekommt, wird sie ein Gymnasium besuchen, studieren und einen Doktor in Jura machen.
Die Mutter findet Arbeit in einer Apotheke und schafft es am Ende als gelernte Pharmazeutin in die Forschungsabteilung eines Konzerns, fährt zu Kongressen. Im gleichen Maße, in dem der Radius der weiblichen Familienmitglieder wächst, schrumpft der des Vaters. Er bekommt keine Arbeitserlaubnis, wird erst Hausmann, dann Feminist, scheitert am Spracherwerb. Er wird zum Spezialisten für Sonderangebote, einmal kauft er nach einem Brand in einem Spielzeugladen eine ganze Tüte Barbiepuppen, die bestialisch nach verbranntem Plastik stinken. Die Tochter schreibt Gott einen Brief, "in dem ich mich für die schreckliche Katastrophe im Spielwarengeschäft bedankte".
Das lange Zeit zärtliche Vater-Tochter-Verhältnis verkehrt sich im Lauf der Pubertät ins Gegenteil. Die Erzählerin, die nach der Schule als Leistungsschwimmerin trainiert, schämt sich für ihren Vater. Der hat im Lauf der Jahre einen Putzzwang entwickelt und das Internet als Rückzugsraum entdeckt. Sein Dasein ist ein Weg ins Verstummen. Zu alter Form findet er nur bei den Urlaubsreisen in die Heimat. Es sind lange, heiße Autofahrten im vollgepackten Renault R 4 ohne Sicherheitsgurte, mit vielen Passkontrollen, Grenzbeamte wollen bestochen werden. Am Ziel wartet die Großmutter, Baba Hajdana, immer schwarz gekleidet, "lediglich zum Schlafen zieht sie die bunten Pyjamas mit lustigen Aufschriften oder niedlichen Tiermustern von C&A an, die ihr meine Mutter jeden Sommer aus Wiener Neustadt mitbringt". In ihrem Leben gibt es nur Verluste - und große Armut.
Es ist eine bittere Bilanz, die Toxische Pommes hier zieht, auch wenn der Text viel mit Pointen arbeitet, aber die grundierende Wut über die Nostrifikationsprüfungen, auf die unterentwickelte Willkommenskultur in Österreich, ist immer spürbar. Auch wenn es literarisch bezwingendere Migrationsliteratur gibt, man denkt zuerst an Sasa Stanisic ("Herkunft"), zeigt Toxische Pommes ihren Landsleuten, dass es sich lohnen könnte, der anderen Seite Aufmerksamkeit zu schenken. HANNES HINTERMEIER
Toxische Pommes: "Ein schönes Ausländerkind". Roman.
Zsolnay Verlag, Wien 2024. 206 S., geb.
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