1921 wird in Gleiwitz, Schlesien Luise Strebel als 7. und letztes Kind der Familie geboren. Es sind schwierige Zeiten in die das Kind hineinwächst. Ihre Eltern sind bereits alt und ausgelaugt, die politische Lage entwickelt sich stetig zum Schlechteren. Familien werden zerrissen. Mehrmals werden Deutsche zu Polen und Polen wieder zu Deutschen, ohne, dass sie sich auch nur einen Meter vom Fleck bewegt haben. Die schreckliche, stetig steigende Diskriminierung von Juden wird mehr als schmerzhaft, intensiv beschrieben.Luises Geschwister zerstreuen sich mit der Zeit in alle Winde. Ein Bruder wird Mitglied der NSDAP und fühlt sich zu höherem berufen, der andere heiratet eine polnische Frau. Und das, wo im Grenzgebiet die Polen und die Deutschen gerade zu Feinden werden. Eine der Schwestern wird eine angesehene Schneiderin im noch deutschen Breslau. Doch ist sie lesbisch, was keiner wissen soll und darf, und hat somit ebenfalls ein schweres Los für Ihre Zeit gezogen.Luises Lichtblick ist Ihre beste Freundin Magda und im späteren Verlauf die etwas ältere Marie, mit der sie in Kriegszeiten zu einer Frauen-WG zusammenwachsen wird.Von 1921 bis 1970 begleiten wir Luise, Magda und Marie mit Ihren Familien durch die harten Zeiten ihres Lebens. Ich habe sehr viel gelernt in diesem Buch. Über die Entwicklung der Geschehnisse dieser Grenzregion bevor der Krieg kam, über das Leben im Krieg selbst und danach. Dörte Binkert gibt sich alle Mühe uns ein Gefühl zu vermitteln, wie es für die Menschen war, in dieser Zeit, in speziell der Region Schlesien leben zu müssen und trotzdem das Beste daraus zu machen. Die Art der Erzählung erinnerte mich kurioser Weise an zahlreichen Stellen an die Art, wie Erich Kästner in dieser alten Verfilmung des "Doppelten Lottchens" im Hintergrund als Erzähler seiner Geschichte die Geschehnisse kommentiert. Das fand ich wirklich reizend.Aber ich fand auch, das Buch will etwas zu viel. In der ersten Hälfte von 1921 bis 1945 stehen die Strebels und Ihre Nachbarschaft im Mittelpunkt. Das sind sehr sehr viele Leute, mit vielen Bekannten, Beziehungen, Erlebnissen und man muss schon immer mal innehalten und im Kopf sortieren. Alles ist interessant, es gibt so viele wissenswerte, traurige, grausame Details, die wirklich gut eingebunden sind und ich empfand keine Längen im beschriebenen Alltag. Aber dann endet der Krieg und die Familie zerstreut sich komplett und plötzlich liegt im zweiten Teil des Buches (von 1946 bis 1970) das Augenmerk auf Magda und ihrer Familie und die Hauptfiguren der ersten Hälfte sind plötzlich nur noch in kleinen Nebenrollen zu finden. Es ist ein bisschen wie eine neue Geschichte. Auch spannend, aber eher wie ein Band 2. Ich hätte auch gern Luise und Ihre Schwestern auf ihrer Flucht, bei ihrem Neuanfang begleitet und Magda vielleicht wirklich in einem separaten Teil gesehen.Aber nun ist es so wie es ist.Und es ist ein sehr lesenswertes Buch über das Leben, wie es meine Großeltern leben mussten und wie wir es hoffentlich niemals leben müssen. Gerade aktuell, sind wir so nahe dran, wie in den letzten 75 Jahren nicht mehr in Europa. Es ist eines dieser Bücher, das jeder lesen sollte, der sich über die Zeit beschwert, in der er gerade lebt, um zu verstehen, welche Luxusprobleme die Menschen oftmals als so schreckliche Einschränkungen ihres Seins empfinden.4 Sterne, für ein sehr bewegendes Buch.