Besprechung vom 03.02.2025
Das Klicken der Zentralverriegelung
Auf die Ermittler kommt es an: Catherine Ryan Howard untersucht in "The Trap" mit unerbittlicher Präzision die Geschichte vermisster irischer Frauen.
Wohin gehen all die Frauen, die eines Tages - wie heißt es immer so schön? - vom Angesicht der Erde verschwinden? Vielleicht ja an einen sicheren Ort, der auf keiner Karte dieser Welt verzeichnet ist, und dort leben sie ein Leben, von dem keine je das Bedürfnis verspürte, in unsere Realität zurückzukehren. Nein, das ist naiver Stuss. In den allermeisten Fällen sind sie tot, "verstreute Knochen in Fetzen zerrissener, vermodernder Kleidung oder aufgedunsene, verwesende, Flüssigkeit absondernde Leichen, von denen schon bald nur noch Knochen übrig sein würden".
Doch manchmal weiß man es auch einfach nicht so genau - und das macht Lucy fertiger als alles andere. Seit mehr als einem Jahr ist ihre Schwester Nicki verschollen; früher als ihre Freundinnen aus einem Pub aufgebrochen, auf der Straße noch ein letztes Mal von einer Überwachungskamera eingefangen und dann nie wieder gesehen.
Wie wahrscheinlich alle irischen Frauen mittleren Alters kennt Catherine Ryan Howard die Geschichte des berüchtigten Vanishing Triangle, eines Gebietes im Osten des Landes, in dem in den neunziger Jahren mehrere Frauen verschwanden, von denen bis heute jede Spur fehlt. Dieses Dreieck des Verschwindens bildet zwar nicht die direkte Vorlage für "The Trap. Wie weit würdest Du gehen, um deine Schwester zu retten?", aber doch die grundlegende Idee, den Kontext, in dem eine Geschichte wie diese glaubwürdig erscheint: Auch in "The Trap" sind über den Zeitraum weniger Jahre mehrere Frauen verschwunden, doch erst der Fall einer Teenagerin - unschuldiges Image, blond, strahlendes Lächeln - generiert die nötige Aufmerksamkeit um eine groß angelegte Suchaktion in Gang zu setzen.
Tief sitzendes Misstrauen gegenüber den Institutionen spricht aus diesen Zeilen, fügt sich eine Spur zu eindimensional ins Weltbild: Die Medien sind in "The Trap" repräsentiert durch einen schmierigen Reporter ohne jeden Funken Verantwortungsgefühl, und die eigens eingerichtete Task Force der Polizei ist eher am Prestige und den finanziellen Mitteln interessiert als an Gerechtigkeit für die Frauen. Nur eine junge Gardaí namens Denise rekrutiert unter der Nase ihrer Vorgesetzten eine Kollegin aus der Abteilung für Vermisstenfälle, um heimlich ihre eigenen Ermittlungen voranzutreiben. Währenddessen erreicht Lucys Verzweiflung jeden Tag neue Höhepunkte.
Mit ihr hat die Autorin eine Protagonistin entworfen, deren offenkundige Traumata und Verbohrtheit dem Thriller nur noch mehr Textur und Reibungsfläche verleihen. Dazu kommen ein atemloses Tempo und immer wieder diese unvorhergesehenen Wendungen. Catherine Ryan Howards Spezialität sind Schlüsselszenen, die sie auf Echtzeit anlegt, wie wenn im Film die Kamera jedes Geräusch und jede Bewegung in ihrer exakten Dauer verzeichnet; eine chronologisch ablaufende Choreographie der Handgriffe, der sich steigernden Ängste und paranoiden Manöver, in deren Sog man sich dabei ertappt, im gleichen Rhythmus nach Luft zu schnappen wie die Frau im fremden Auto beim unheilvollen Klicken der Zentralverriegelung.
Schon in ihrem Thriller "The Nothing Man" (F.A.Z. vom 6. Dezember 2021) hatte Catherine Ryan Howard die gelegentlich verstörende Ausmaße annehmende popkulturelle Faszination für Serientäter erforscht und seither ein Dilemma identifiziert: Bei aller gebührenden Aufmerksamkeit für die Opfer und Überlebenden - von Ermittlungen lässt sich kaum erzählen, ohne dabei doch wieder die Motive und Abgründe der Täter zu ergründen. Und so fügt sie der Mischung aus Psychothriller und Police Procedural in "The Trap" noch die Perspektive des vorerst anonymen Mörders hinzu, der sich gegenüber seinem neusten Entführungsopfer zu erklären versucht. Ein Einblick in eine auf ihre ganz eigene Weise versehrte Psyche, der letztlich mehr Fragen aufwirft, als sie zu beantworten.
Die größte Faszination gilt dabei aber ganz sicher nicht ihm, sondern in erster Linie den Fähigkeiten derjenigen, die es verstehen, sich eine Tat auf Grundlage der spärlichsten Hinweise und Indizien zu erschließen, im Chaos die Muster zu erkennen. Auf ihren Schultern lastet die Hoffnung all jener Verschwundenen, die nicht nur als Fiktion in einem Krimi auftauchen, sondern als reales Schicksal in einer Vermisstenanzeige, als nach Ewigkeiten wieder aufgenommener Fall in einem True-Crime-Podcast. "Manchmal", so endet Catherine Ryan Howard in ihrem Nachwort, "ist die Erzählliteratur das Einzige, worin wir Antworten finden." KATRIN DOERKSEN
Catherine Ryan Howard: "The Trap". Thriller.
Aus dem Englischen von Dietmar Schmidt.
Lübbe Verlag, Köln 2025. 352 S., br.
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