Ein gelungener Reihenauftakt
»Man hört so viel von Kindesentführung, schoss es Frau Pohl durch den Kopf. Doch sie beruhigte sich gleich selbst wieder: Quatsch! Nicht bei uns. In Husum gibt es so etwas nicht.« Frau Pohl, die Grundschullehrerin, meldet der Polizei in Husum, dass die Schülerin Lisa Dahl seit längerem dem Unterricht unentschuldigt fernbleibt und die Mutter Anne nicht erreichbar ist. Zunächst wird das Verschwinden von Mutter und Tochter nicht richtig ernst genommen, doch dann beginnen der zwangsversetzte Hauptkommissar Christoph Johannes und seine Kollegen der ungepflegte Oberkommissar Große Jäger und der junge Harm Mommsen der Sache auf den Grund zu gehen, denn auch der arbeitslose Ehemann weiß nicht, wo Frau und Tochter sein könnten. Die Suche nach den beiden führt die drei Ermittler in ein kleines Dorf in der Marsch, in der alle, die nicht schon seit Hunderten von Jahren dort ansässig sind, als Fremde und scheel angesehen. Und alle, die, warum auch immer, nicht den dort aufgestellten Regeln und Normen entsprechen, werden mehr oder weniger subtil ausgegrenzt und letztlich auch vertrieben. Man schreckt auch nicht davor zurück, Rufmord zu begehen und Gewalt einzusetzen. Feder führend sind hier der Bürgermeister und ein ehemals adeliger Großgrundbesitzer, der in den Wirren des Zweiten Weltkriegs, hier ansässig wurde. Da er der größte Arbeitgeber ist, scheinen die Regeln, wer als Einheimischer oder Fremder anzusehen ist, nicht zu gelten. Meine Meinung: Dieser Krimi ist der Reihenauftakt zu den ¿Hinter dem Deich-Krimis¿ aus der ich bereits vier spätere Bände gelesen habe (¿Tod im Koog-7¿, ¿Das Böse hinterm Deich-16, ¿Im Moor-17¿ und ¿Deichfeuer-18¿). Hier werden nun die wichtigsten Protagonisten der Reihe vorgestellt. Allen voran KHK Christoph Johannsen, der von Kiel nach Husum strafversetzt worden ist, OK Große Jäger, der eigentlich aus dem Münsterland stammt und mit seinen Vornamen Wilderich Remigius hadert, und deswegen nicht damit angesprochen werden will, und Harm Mommsen, ein Kind der Marsch, der es sich nicht vorstellen kann, woanders zu leben. Daneben spielen KHK Frauke Dobermann (nomen es omen) aus der gleichnamigen eigenen Reihe sowie Staatsanwalt und der Leiter der KTU-aus Kiel eine Rolle. Große Jäger ist der Prototyp des einsamen Wolfs, des Bad Cop, der seine schlechten Manieren zelebriert, während Mommsen ein gepflegter, gutaussehender junger Mann ist. Dazwischen ist Johannsen angesiedelt, der manchmal ein wenig blass wirkt. Sehr gut sind die dörflichen Strukturen und Abhängigkeiten, die an die alte Feudalherrschaft erinnern, als die Gerichtsbarkeit noch in Händen der adeligen Großgrundbesitzer lagen, beschrieben. Eine wichtige Rolle spielt auch Leo Grün, ein alter Jude, dessen Familie die Shoa nicht überlebt hat und genau weiß, was es heißt, ausgegrenzt und verfemt zu sein, weshalb er sich rührend um Peter Dahl kümmert. Dieser Reihenauftakt ist weniger ein ¿Who-done-it¿-Krimi sondern eine vielschichtige Milieustudie über Opfer, Außenseiter und gesellschaftliche Verlierer. Das vermeintlich ¿gesunde Volksempfinden¿ hat schnell einen Schuldigen ausgemacht, während die Ermittler den wahren Täter suchen. Die Auflösung hat mich nicht wirklich überrascht. Fazit:Gerne gebe ich diesem gelungenen Reihenauftakt 4 Sterne.