Frage: Sie sind bekannt dafür, Ihre Botschaften nicht nur auf den Punkt zu bringen, sondern sie auch besonders anschaulich und alltagstauglich zu vermitteln. Eines Ihrer Zitate lautet: "In der Kirche muss es zugehen wie im Wirtshaus". Wo sind da die Parallelen?
Rainer M. Schießer: Da gibt es einige: Nur mit guten Produkten kann man ein köstliches Mahl erstellen. Das Produkt "Evangelium" ist ausgezeichnet: wir dürfen den Menschen eine Hoffnung geben, die weit über den Tod hinausgeht. Dann die Verarbeitung: Nur eine gute Küche lockt zum nochmaligen Wirtshausbesuch. Warum gehen die Menschen so selten in die Kirche? Nur weil sie ungläubig sind? Wie steht es mit der Qualität der "Verkündigungsköche"? Ganz wichtig ist auch die Atmosphäre, die Bedienung, der Umgang und das Preis-Leistungsverhältnis. Alles muß im Lot sein, damit ich wiederkomme!
Frage:Für diejenigen, die Ihr Buch noch nicht gelesen haben: Wen wollen Sie damit vor allem erreichen? Ist es ein Plädoyer zum "Durchhalten"? Oder eher zum "Verändern"?
Rainer M. Schießer: Beides, vor allem Durchhalten im Sinne von Verändern. Wer davonläuft, ändert nichts, gibt vielmehr auf. Wenn ich eine aufgeschlossene, dem Menschen zugewandte, ihn ansprechende Kirche will, muss ich mitmachen, fordern, mich einsetzen.
Frage:Sehen Sie sich selbst als Rebell? Oder anders: wie viel Mut gehört dazu, ein so offenes Buch zu schreiben, das doch vieles, woran die konservative Kirche festhält, in Frage stellt?
Rainer M. Schießer:Nein, ich sehe mich nicht als Rebell, da steckt bellum, der Krieg drin. Ich will keinen Krieg. Ich will die Sehnsucht nach einer lebendigen, neue Wege beschreitenden Kirche wecken und unterstützen. Ich will Visionär sein, positiver und aufrüttelnder Wegbegleiter für die Menschen. Konservativ sein, bewahren ist wichtig, aber Zukunft gibt es eben auch nur im Loslassen. Es geht darum, durch mein Handeln das Glauben-Können im Menschen zu bestärken.
Frage: Erhalten Sie viel Zuspruch per Post/Mail? Oder mehr Kritik?
Rainer M. Schießer: Ja, die Briefe und mails stapeln sich, zu 99 % positiv! Ganz besonders freuen mich auch die Reaktionen meiner Kollegen, die sich angesprochen und bestätigt fühlen. "Böse" Briefe beantworte ich sofort. Es soll nicht der Eindruck entstehen, daß ich Kritik ignoriere. Die freundlichen Briefe müssen noch warten. Es wird sicher Herbst werden, bis ich durch bin.
Frage: Was ist Ihr persönlicher Bezug zur Literatur? Hilft sie Ihnen bei ihrer Kirchenarbeit? Welchen Roman haben Sie zuletzt gelesen?
Rainer M. Schießer: Ohne Literatur geht gar nichts! Predigten, Ansprachen leben von dem, was uns trifft. Das sind Begegnungen, Menschen, Situationen, so wie wir sie auch in Büchern erleben. Zuletzt gelesen habe ich keinen Roman, sondern das biografisch-theologisches Werk ¿Augenblicke¿ des Altbischofes von Innsbruck, verstorben in 2013. Dieses Buch geht zur Zeit zum dritten Mal durch mein Hirn und mein Herz!
Frage: Nicht erst seit Ihrem Riesenerfolg mit Ihrem aktuellen Buch sind Sie weit über die Grenzen Ihrer Wirkungsstätte München hinaus beliebt. Im Juni werden Sie in Hugendubel-Filialen in München und in Leipzig große Lesungen halten - München ist Ihre Heimat. Was verbinden Sie mit Leipzig? Werden Sie unterschiedliche Ausschnitte lesen bzw. unterscheiden sich die Botschaften in diesen beiden Städten?
Rainer M. Schießer: Leipzig ist die Stadt des mutigen Bekenntnisses. Hier haben sich Menschen zur friedlichen und anhaltenden Veränderung ihrer Lebensverhältnisse in unseren Kirchen zusammengetan. So geht Veränderung! Auftreten statt Austreten heißt es in meinem Untertitel, das kann man von Leipzig lernen. Das braucht Kirche heute unbedingt. Es geht nicht mehr darum, ein menschenverachtendes System abzulösen, sondern darum, der Kirche Zukunft zu geben in einer sich ständig verändernden Welt! Wir müssen die Kirche rüsten für die neue Zeit. Die Botschaft ist dieselbe ¿ ob in München oder Leipzig. In München kommt das Lokalkolorit stärker zum Tragen. Jedenfalls freue ich mich sehr auf beiden Lesungen!