Das Kochbuch, das da vor Ihnen liegt, das bin ich
Mit "Die Küche" veröffentlichte Fernsehkoch und Autor Tim Mälzer bereits sein siebtes Kochbuch - ein Kochbuch "back to the roots"! "Die Küche" zeigt das Wesentliche des Kochens, die Schlichtheit des Produkts als Ästhetik und die Naturform im Zentrum. Mälzer möchte ein Grundverständnis des Kochens schaffen und seine Leser dazu animieren, die Gerichte nach eigenen Ideen umzusetzen.
In Ihrem neuesten Kochbuch besinnen Sie sich auf Ihre Anfänge und Ihren beruflichen Werdegang. Wo zeigen sich heute in Ihrer Küche die entscheidenden Einflüsse Ihrer Lehrmeister?
"Ich habe mein Handwerk wirklich gelernt, das ist die Basis. Auf die klassische handwerkliche Ausbildung bei meinem alten Lehrherrn Helmut Helwig greife ich immer wieder zurück. Ganz deutlich spürt man aber auch den Einfluss von Gennaro Contaldo, die italienische Sichtweise auf Lebensmittel und die Art zu kochen. Ich versuche nicht zu kompliziert an Dinge heranzugehen. Dazu kommen das Reduzierte von Jean-Georges Vongerichten und die Erfahrungen meiner Reisen. Aus all dem hat sich ein Stil entwickelt, der vielleicht nicht einzigartig, aber auf jeden Fall meiner ist."
In welcher Hinsicht haben Sie sich von Vorbildern und Einflüssen losgesagt und einen ganz persönlichen Stil entwickelt, der auch in "Die Küche" zu erkennen ist?
"Von der klassisch-französischen Richtung in der Ausbildung habe ich mich klar losgesagt. Mit ihren langen Garmethoden und den vielen unterschiedlichen Elementen auf dem Teller ist sie recht komplex. Mich hat das Japanische beeinflusst, das Klare, Reduzierte, wo die Natur die Form vorgibt, wo sich der Mensch, der das Produkt verarbeitet, sehr stark zurückhält."
"Die Küche" ist Ihr siebtes Kochbuch bei Mosaik. Sieht man sich die Bücher, vom ersten Titel "Born To Cook" aus dem Jahr 2004 über "Kochbuch" 2007 bis hin zur "Greenbox" 2012, "Heimat" 2014 und nun "Die Küche" 2016 an, ist eine Entwicklung zu erkennen, die sich immer stärker auf das Produkt konzentriert. Welche Erfahrungen haben Sie über die Jahre dahingeführt?
"Ich stehe seit ungefähr 15 Jahren in der Öffentlichkeit, habe wahnsinnig viele Gespräche geführt und unzählige kulinarische Erfahrungen gemacht. Am Ende des Tages habe ich auf mein Bauchgefühl gehört und mich gefragt: Was begeistert mich wirklich? - Das war der Ansatz der mediterranen und der Heimatküche. Wenn das Produkt stimmt, ist die Geschichte erzählt. Dann ist es die Pflicht des Kochs, sich in Demut vor dem Produkt ein wenig zurückzuhalten. Deshalb gibt es bei mir selten irgendwelche unglaublich kreativen Foodpairing-Ebenen. Ich versuche nicht, damit zu glänzen, dass ich besonders exotisch oder kreativ arbeite. Mir geht es darum, ein Produkt mit einer leichten Kreativität ein bisschen zu unterstützen, aber nie so, dass das Produkt praktisch nicht mehr erkennbar ist."
Prägt Ihre Vorliebe zu experimentieren und intuitiv zu kochen auch Ihre Kochbücher und die Rezeptauswahl?
"Ich koche komplett aus dem Bauch, aus dem Tagesangebot, aus der Lust und aus der jeweiligen Situation für einen bestimmten Gästekreis. Das tritt in "Die Küche" sehr stark hervor. Natürlich haben wir bei der Kochbuchkonzeption einen Plan, aber dabei handelt es sich zunächst um rein technische Daten, beispielsweise eine bestimmte Anzahl von Rezepten. Dann legen wir mit dem Kochen los und schließlich entscheiden wir, welche Rezepte es wert sind, in das Buch aufgenommen zu werden, welche man für eine runde Geschichte braucht und wo noch Bedürfnisse des Lesers sein könnten. All das zusammengenommen führt zur Rezeptentwicklung."
Können Sie an einem Beispiel aus dem Buch beschreiben, wie Intuition und Rezeptentwicklung zusammenwirken?
"Ich denke an den 'Gegrillten Schweinenacken mit Rhabarber'. Schweinenacken ist unter Köchen mittlerweile verpönt, aber wenn ich ein gutes Bio-Produkt habe, kommt bei mir Schweinenacken auf den Tisch. Durch eine ganz kleine kreative Idee, die Kombination mit Rhabarber, bekommt der Schweinenacken den Rahmen, den dieses phantastische Produkt verdient."
Sie ermuntern dazu, zu experimentieren und sich nicht an Rezepte zu klammern. Wie bekomme ich als Hobbykoch die Sicherheit, intuitiv arbeiten und loslassen zu können?
"Ich brauche als Fundament Kochtechniken. Sie sind relativ einfach. Wer jemals Gemüse blanchiert hat, muss dem jeweiligen Produkt nur die Garzeit anpassen. Wer jemals geschmort hat, wird das Prinzip verstehen. Hat man das einige Male gemacht, kann man aus dieser Sicherheit heraus experimentieren und beobachten, wann und warum eine Kochtechnik funktioniert. Das vertieft sich immer weiter, wie Fahrradfahren. Am Anfang sind wir alle mit Stützrädern gefahren."
Wie wichtig ist Ihnen die Alltagstauglichkeit der Rezepte und speziell auch die Verfügbarkeit der Zutaten?
"Die meisten Menschen verfügen über begrenzte Möglichkeiten. In Deutschland ist es in manchen Regionen schon eine Herausforderung, frischen Koriander zu besorgen. Das ändert sich zwar, aber nicht in dem Tempo, in dem sich die Rezepte verändern. Deshalb versuche ich mich möglichst in den heimischen Regionen und unserem Essverständnis zu bewegen."
Viele der heutzutage neu entwickelten Rezepte erfordern exotische Gewürze. Welche Gewürze kommen bei Ihnen in der Küche zum Einsatz?
"Grundsätzlich gilt für mich: Salz und Pfeffer reichen, um eine Grundaromatik zu erzeugen. Möchte ich eine etwas größere Geschmackstiefe, brauche ich hin und wieder Gewürze, aber nicht die Gewürzkiste des Klabautermanns. Mir reichen ein paar wie Wachholder, Nelken und Muskatnuss, die in 'Die Küche' relativ häufig verwendet werden. Diese Gewürze werden dem jeweiligen Produkt gerecht, sie ergänzen es, übertünchen es aber nicht. Die Rezepte sind so reduziert, dass sie wohlschmeckend sind und auf jeden Fall gelingen, denn ich bin überzeugt, dass genau diese Konzentration aufs Wesentliche den Menschen die Befangenheit nimmt. Der Rest ist Kreativität."
Erkennen Sie in dieser Konzentration auf das Wesentliche einen Trend?
"Es entspricht auf jeden Fall meiner Einstellung - unabhängig von Trends -, und zwar schon seit meinem ersten Kochbuch. Kochen ist kein Buch mit sieben Siegeln, es handelt sich um fünf Grundtechniken. Aus meiner Sicht hat sich professionelles Kochen wahnsinnig weit vom Alltag der Menschen entfernt und ist unnötig kompliziert geworden. Gerade lernen wir Profiköche wieder ganz viel von den Menschen auf der Straße, und ich glaube, dass wir jetzt erst einen guten Küchentrend entwickeln - und zwar einen Megatrend, der sich in diesem Jahrzehnt vertiefen wird. Es geht dabei um die Besinnung auf das Verlässliche, das Bekannte und zugleich um dessen Weiterentwicklung. Wenn meine Oma früher einen Schweinsbraten mit Sauerkraut, Klößen und Soße gekocht hat, dann waren das locker mal 1.600 Kalorien. Wir gehen weiter und passen diese Gerichte unserem heutigen Leben an."
Das Rinderfilet gilt als Premiumstück - aus Ihrer Sicht ein Mythos?
"Blicken wir auf die Asiaten: In China sind Konsistenzen beim Essen ganz wichtig. Es gibt Gerichte, die sind gallertartig, andere sind knusprig, wieder andere weich, manche knorpelig. Wir hatten über die letzten zwanzig Jahre in Deutschland eine Verweichlichung des Essens. Davon halte ich nichts. Ich mag Konsistenzen, ich mag bissiges Fleisch, ich habe Zähne, und die dürfen auch einmal einen Widerstand überwinden, weil das zum Essen dazugehört. Ein Rinderfilet ist ein schönes Stück Fleisch, aber es hat keine besondere Geschmackstiefe. Sein herausragendes Merkmal: Es ist besonders zart."
Bei jedem Ihrer Rezepte findet sich ein Tipp zum Anrichten. Welchen Wert legen Sie auf die Optik eines Gerichts?
"In 'Die Küche' haben wir keinerlei dekorative Elemente auf dem Teller, wir zelebrieren die Schlichtheit des Produkts als Ästhetikform. Mein Lieblingsbild dafür ist die geschmorte 'Kalbshaxe'. Nur die geschmorte Kalbshaxe in ihrer natürlichen Form mit einer wunderschönen klaren Jus dazu und einem hübschen Teller darunter, ganz simpel angerichtet, das kriegt jeder hin."
Sie möchten die Menschen mit Ihrer Küche emotional berühren. Woran erkennen Sie, dass Ihnen das geglückt ist?
"Dabei denke ich immer an mich als Koch zu Hause. Wenn ich zehn Gäste eingeladen habe, das Hühnerfrikassee auf den Tisch stelle, einen Glanz in den Augen der Gäste wahrnehme und sehe, wie sie schon wieder auf die Schüssel gucken, weil sie Angst haben, dass sie keinen Nachschlag kriegen, dann weiß ich: Ich habe alles richtig gemacht. Wir reden doch immer so gerne von irgendwelchen Eintöpfen von früher. Ich wünsche mir, dass unser Heute später einmal ein Früher wird."
Bei der Wahrnehmung von Geschmack und Geruch werden ja auch unmittelbar Gefühle ausgelöst...
"Deshalb gibt es bei mir bestimmte Gerichte nicht. Ich kopiere keine Gerichte, weil ich die Emotionalität von japanischem Essen oder einer gegrillten Dorade am Strand in Italien oder eines dampfend heißen Eintopfs im Winter gar nicht ohne das Umfeld erzeugen kann. Emotionalität beginnt ganz früh und sicher nicht mit irgendetwas Intellektuellem. Im Gegenteil. Dieses intellektuelle Zerreden von Essen geht mir hochgradig auf die Nerven."
Sie bezeichnen "Die Küche" als Ihr bisher persönlichstes Kochbuch. Was macht das Buch für Sie zu etwas Besonderem?
"Das Besondere ist die Schlichtheit, die Simplizität der Darstellung. Man findet das, was ich zu Hause koche, und ich mag die Gerichte genauso, wie sie im Buch präsentiert werden. So entsprechen sie meiner persönlichen Ästhetik, dem Kern meiner persönlichen Entwicklung derzeit. Ich merke, dass ich langsam meine Mitte finde und dass ich in vielen Bereichen immer klarer werde. 'Die Küche' ist meine Quintessenz des Kochens."
Könnte man "Die Küche" als Rückkehr zu den Wurzeln mit neuer Freiheit und großem Selbstbewusstsein bezeichnen?
"Wenn das so ist, freut es mich. Ich habe wirklich versucht, in diesem Kochbuch auf kreative Eitelkeit gänzlich zu verzichten. Zum Beispiel haben wir ein Rezept von Spaghetti mit Knoblauch und Chili aufgenommen. Das war ein Zufallsprodukt aus übrig gebliebenem Pastateig, den wir für uns verarbeitet hatten. Beim Essen dachte ich: 'Boah, das ist so gut, das muss ins Buch!', auch wenn wir uns natürlich zuerst gefragt haben, ob dieses Gericht interessant genug für den Leser sein könnte. Auf Trends wie Superfood und die besondere Beschäftigung mit Getreide haben wir ganz verzichtet, weil ich an mir selbst keinerlei Drang dazu bemerke. 'Die Küche' enthält ausschließlich Gerichte, die ich selbst gern zubereite und esse. Für den Leser geht es darum, sich inspirieren zu lassen. Wenn jemand diese Rezepte kocht, mit seinen Händen und seiner Sichtweise, dann werden sie seine Handschrift bekommen. Das erfordert für mich Zurückhaltung, die nicht immer leicht ist. Denn in manchen Momenten kommt auch in mir der Wunsch auf: 'Die Leute sollen denken, ich bin der geilste Koch der Welt und hyperkreativ.' Aber was bin ich wirklich? Das Buch, das da vor ihnen liegt, das bin ich. So koche ich, so denke ich, so fühle ich. In 'Die Küche' gibt es nur ein einziges Dessertrezept: das ist Obstsalat. Ich glaube, es gibt sonst kein Kochbuch auf der Welt, in dem nur ein einziges Dessertrezept ist. Die Eier muss man erst mal haben.
Das Interview führte Elke Kreil vom Mosaik-Verlag.
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Das Buch zum Interview
Das Buch zum Interview
Die Küche
Seine Leser zu motivieren und inspirieren anstatt ihnen feste Vorgaben zu machen - das war und ist Tims besonderes Anliegen. Er möchte Grundverständnis schaffen und dadurch dem Leser ausreichend Raum geben, die Rezepte nach dessen eigenen Ideen, nach persönlichem Geschmack zu variieren. Diese Philosophie setzt Tim Mälzer nun zum ersten Mal kompromisslos um: "Die Küche" ist ein Grundlagen-Kochbuch, in dem es um Know-how geht, in dem er das Basiswissen des Kochens vermittelt und die wichtigsten Fragen zu Nahrungsmitteln und Kochtechniken beantwortet.