Fragilität des Lebens
Fragilität des Lebens
Exklusiv-Interview mit Jan Phillipp Sendker

Mich hat immer das Fremde, das Andere interessiert. Von Asien war ich sofort fasziniert. Das hält bis heute an. Auf der einen Seite versuche ich dort zu lernen und zu verstehen. Gleichzeitig finde ich immer wieder das, was uns vereint. Wenn ich bei einem Fischer in Kanton oder bei einem Bauern in Burma sitze und wir reden, merke ich schnell, wie viel uns eigentlich als Menschen verbindet, egal wie anders unsere Lebenssituationen sein mögen.
...von den Emotionen und Grundhaltungen her?
Ja, genau! Und das Verbindende, die Gemeinsamkeiten sind ganz wichtige Themen in all meinen Büchern.
Aktuell ist der letzte Band der China- Trilogie erschienen. Was war der Ausgangspunkt?
Also erst mal war es nicht als Trilogie geplant. Sie können die Bücher ganz unabhängig voneinander lesen! Die Arbeit am ersten Band, "Das Flüstern der Schatten", war so intensiv, dass mir, als ich das Buch zugeklappt und den letzten Satz geschrieben hatte ... erst einmal die Tränen kamen. Weil ich mich nicht verabschieden, nicht loslassen konnte! Es gab noch so viel zu erzählen. Also schrieb ich weiter...
Was ist das Charakteristische an ihrer Hauptfigur Paul?
Es gibt einige biografische Parallelen. Ich habe vier Jahre in Hongkong gelebt, war früher Journalist, bin verheiratet, habe Kinder. Auch die Faszination für China teile ich mit Paul. Er jedoch ist in beiden Welten zuhause oder auch eben nicht zuhause. Er ist Zeit seines Lebens ein Suchender! Und Suchende sind nicht immer die leichtesten, aber sicher die interessantesten Menschen. Dann diese Lebenskrise, die er hat, nachdem er sein erstes Kind verloren hat - das ist für mich eigentlich der Ausgangspunkt gewesen. Und da war für mich dann schon die Frage: Wie überlebt man so etwas eigentlich?
Paul wählt anfangs die Einsamkeit - hilft ihm das?
Paul zieht sich nach dem Tod seines ersten Sohnes völlig zurück und wird zum Einsiedler. Mich interessierte die Frage, ob es eine Kraft gibt, die einen Menschen da wieder herausholen kann? Und wer mich oder meine Bücher kennt, weiß, dass meine Antwort ist: Wenn es überhaupt eine Kraft gibt, dann ist es die Liebe! Aber ist man nach so einem Verlust überhaupt noch liebesfähig?
Trauer, Verlust, das sind zentrale Themen Ihrer Bücher. Zeigt sich darin unser Menschsein?
Ja, die Fragilität des Lebens gehört zum Menschsein dazu. Es ist interessant, dass in anderen Kulturen anders mit Verlust umgegangen wird: Das habe ich beispielsweise in Burma erlebt, wobei burmesische Eltern nicht weniger erschüttert oder traurig sind, wenn ihr Kind stirbt.
Woran liegt der andere Umgang? Ist das eine Grundhaltung in der Kultur? Sicher vermissen sie ihr Kind ganz entsetzlich, aber wenn sie glauben, es wird wiedergeboren, es war vorher schon jemand anders und wird jemand anders ... Also da habe ich das Gefühl, das macht im Umgang mit dem Tod etwas gelassener.
Gibt es einen Grund, warum Sie in den Romanen auf Jahreszahlen konsequent verzichten?
Ja. Weil ich denke, die Themen, die hier angesprochen werden, haben zwar was mit der Zeit, in der sie spielen, zu tun, auf der anderen Seite sind sie zeitlos: der Kampf um Gerechtigkeit und welchen Preis ich dafür bezahle, ist zum Beispiel zeitlos.
Grundkenntnisse über China scheinen mir keine Voraussetzung für das Lesevergnüngen zu sein, oder?
(lacht): Nein. Es nennt sich zwar China-Trilogie und das Land ist natürlich wichtig. Aber ich bin überzeugt, man muss sich nur für Menschen und ihre Schicksale interessieren, um von diesen Büchern bewegt zu werden, berührt zu sein.
China hat sich in den vergangenen Jahren dramatisch verändert, ganze Städte werden abgerissen, neue Mega-Städte entstehen. Wie erleben Sie das?
Trauer, Verlust, das sind zentrale Themen Ihrer Bücher. Zeigt sich darin unser Menschsein?
Ja, die Fragilität des Lebens gehört zum Menschsein dazu. Es ist interessant, dass in anderen Kulturen anders mit Verlust umgegangen wird: Das habe ich beispielsweise in Burma erlebt, wobei burmesische Eltern nicht weniger erschüttert oder traurig sind, wenn ihr Kind stirbt.
Woran liegt der andere Umgang? Ist das eine Grundhaltung in der Kultur? Sicher vermissen sie ihr Kind ganz entsetzlich, aber wenn sie glauben, es wird wiedergeboren, es war vorher schon jemand anders und wird jemand anders ... Also da habe ich das Gefühl, das macht im Umgang mit dem Tod etwas gelassener.
Gibt es einen Grund, warum Sie in den Romanen auf Jahreszahlen konsequent verzichten?
Ja. Weil ich denke, die Themen, die hier angesprochen werden, haben zwar was mit der Zeit, in der sie spielen, zu tun, auf der anderen Seite sind sie zeitlos: der Kampf um Gerechtigkeit und welchen Preis ich dafür bezahle, ist zum Beispiel zeitlos.
Grundkenntnisse über China scheinen mir keine Voraussetzung für das Lesevergnüngen zu sein, oder?
(lacht): Nein. Es nennt sich zwar China-Trilogie und das Land ist natürlich wichtig. Aber ich bin überzeugt, man muss sich nur für Menschen und ihre Schicksale interessieren, um von diesen Büchern bewegt zu werden, berührt zu sein.
China hat sich in den vergangenen Jahren dramatisch verändert, ganze Städte werden abgerissen, neue Mega- Städte entstehen. Wie erleben Sie das?
Staunend, überwältigt, vor allem fragend: Was macht das mit den Menschen? Braucht man so etwas wie eine Heimat, wie Vertrautheit mit einem Ort nicht?
In China regiert die Kommunistische Partei, trotzdem ist der Reichtum noch ungleicher verteilt als zum Beispiel in den USA. Kann das auf Dauer gut gehen?
Nein. Ich werde bei Lesungen oft gefragt, mein Gott, China ist so groß und mächtig - müssen wir Angst vor China haben? Und ich antworte immer: Nein, wir müssen nur Angst um China haben.
Was unterscheidet den "amerikanischen" vom "chinesischen" Traum?
Nicht viel. Der "amerikanische" Traum ist in China mittlerweile viel lebendiger als in Amerika. Seit Beginn der 90er Jahre erlebt China seine Gründerzeit, es ist die Zeit der Räuberbarone. Für mich als Schriftsteller ist China wie ein Bonbonladen für ein kleines Kind: Alles ist voller Geschichten, absurde, traurige, dramatische, glückliche...Da zuzuschauen, das zu beobachten und darüber schreiben zu können und in dem Sinne teilhaben zu dürfen, das sehe ich als ein wahnsinniges Privileg.
Ist Religion heute in China ein Thema?
Ein großes, und deshalb spielt es auch in meinem neuen Roman eine wichtige Rolle. China ist ja ein Kulturkreis, der seit vielen Tausend Jahren versucht, friedlich ohne Religion zusammenzuleben. Das gefällt mir an China, hier spielte Religion erst einmal keine Rolle, die Ethiklehre und Morallehre von Konfuzius war eine gemeinsame Basis. Aber im Kommunismus wurden diese Werte völlig diskreditiert. Das hinterlässt Spuren, und heute fehlt plötzlich ein moralisches, ethisches Fundament.
Wie reagieren die Menschen darauf?
Da gibt es eine große Sehnsucht in China. Der Zulauf zu den Religionen ist enorm. Es gibt angeblich über 100 Millionen Christen in China, viele organisieren sich, wie ich das in "Am anderen Ende der Nacht" beschrieben habe, in Untergrundkirchen.
Im dritten Band gehen die Lebenswege leider nicht für alle Figuren mit einem Happy End aus. Wollen Sie dazu noch etwas anmerken - ohne zu viel zu verraten?
Meine italienische Lektorin war vor allem von der traurigen Wendung für eine Figur so berührt, dass sie mich fragte, ob das "wirklich sein muss?" Ich habe geantwortet: "Ja, es muss." Für mich ist das Handeln dieser Figur ein ganz großer Akt der Menschlichkeit. Und weil ich so viele wahre Geschichten über Unrecht gehört habe, war es mir wichtig, diesen Menschen eine Stimme zu geben.
Wie recherchieren Sie eigentlich in China?
Zum einen lasse ich mich treiben und gehe auf Entdeckungsreise, zum anderen führe ich zahllose Interviews und Gespräche. Ich mache seit 1995 fast alle Recherchereisen mit einer chinesischen Freundin. Sie erklärt mir mit Engelsgeduld ihr Land, seine jüngere Geschichte, die Kultur. Ohne sie gäbe es die Bücher nicht.
Sprechen Sie mit ihr auch Ihre Romanideen durch?
Ja, vor allem die chinesischen Charaktere. Im neuen Roman zum Beispiel wusste ich, dass es den Bauern Luo und die Christin Gao Gao geben wird. Und da haben wir uns dann zusammengesetzt und die Grundzüge dieser Figuren gemeinsam entwickelt, damit das authentisch ist.
Wenn Sie einen Wunsch frei hätten, wo Sie leben könnten...
...dann würde ich im Moment gern in Burma wohnen, in Yangon (Rangun) und dort Leiter des Goethe-Instituts sein. Auch dort findet aktuell eine rasante Veränderung statt, aber die Burmesen gehen damit ganz anders um als die Chinesen.

Das Buch zum Interview
Das Buch zum Interview
Am anderen Ende der Nacht (Die China-Trilogie 3)
Mit der Geburt des nunmehr vierjährigen David ist in Christines und Pauls Leben das Glück wieder eingezogen. Während eines Ausflugs in einen chinesischen Tierpark verschwindet David - wie es scheint, eine Entführung auf Bestellung! Glückliche Umstände und die Hilfe von Fremden bringen die Familie zwar wieder zusammen, aber in Sicherheit sind sie noch lange nicht. Auf einer abenteuerlichen Flucht durch halb China erleben sie nicht nur Schrecken und Erschöpfung, sondern treffen auf Menschen, die sich als zutiefst human, mutig, ja sogar selbstlos erweisen, obgleich sie selbst schon nahezu alles verloren haben. Eine liebevolle Hommage an die Menschlichkeit und die Kraft der Hoffnung!