Paris im 18. Jahrhundert vor und während der Revolution in grellen Augenblicken und auf farbigen Streifzügen. Filigrane Pflanzen-Ansichten. Anatomische Eingriffe. Eine innige Liebesgeschichte zwischen zwei außerordentlichen Frauen, die sich durchsetzen konnten. Die Figuren sind historisch verbürgt. Die Liebe und die ganze Welt darum herum hat Christine Wunnicke meisterhaft erfunden.Elegant und mit feinem Humor erzählt. Knapp. Karg. Fremd. Faszinierend.Es begegnen sich in Wunnickes kurzem Roman: Madeleine Basseporte, Zeichnerin und Malerin, berühmt für ihre Pflanzendarstellungen, und Marie Biheron, deren außergewöhnliche anatomische Wachsmodelle sogar in den Vitrinen von Marie Antoinette ausgestellt wurden.Die fünfzehnjährige Apothekerstochter Marie wird von ihrer Mutter in den Zeichenunterricht von Madeleine geschickt, zum Bordürenmalen. Sie soll etwas lernen, womit man auch Geld verdienen kann, meint die Mutter. Denn mit Leichenaufschneiden und -sezieren (Maries Leidenschaft) könne man sich nicht durchs Leben bringen. Die junge Marie fühlt sich zu der viel älteren Madeleine hingezogen und verliebt sich in sie. Madeleine sträubt sich zunächst gegen ihre Gefühle für das Mädchen. Nach einer vorösterlichen Zeremonie in Notre Dame, in der das Fastentuch fällt und die ganze goldene Pracht des Altarraums sichtbar wird, wehrt sich Madeleine nicht mehr gegen Marie. Eine Art Erweckungserlebnis. Die beiden Frauen werden ein Paar und bleiben es bis zum Tod.Madeleine steigt zur Hauptzeichnerin im Naturhistorischen Kabinett des Jardin du Roi auf. Irgendwann erlaubt man ihr gnädigerweise sogar, ihre eigenen Werke zu signieren. Sie verdient Geld (die Hälfte ihres Vorgängers), unterrichtet am Hof, schreibt bittere Briefe über all die Ungerechtigkeit an Linné und verbrennt sie sofort. "Sie fühlte sich wie die Königstochter im Märchen, die ihre Sorgen ins Ofenrohr schreibt." Marie hat zunächst weniger Erfolg: "Zehn Jahre lang war sie fleißig gewesen, hatte sich winters über Leichen, sommers über Bücher gebeugt und war nun der beste Anatom von Paris[;] doch kein Beruf war ihr daraus erwachsen."Neben diesen beiden Hauptfiguren ist noch Platz für ganz Paris. Schuster und Musikanten, Händler und Prostituierte. Revolutionäre mit und ohne Kopf und allerlei Getier. Gezeichnet mit allen Sinnen. Ein böser satirischer Blick fällt auch auf Denis Diderot und auf den Erfolgsschriftsteller Jacques-Henri Bernardin de Saint-Pierre, dessen Roman "Paul und Virginie" Marie wegen dessen lächerlicher Frauendarstellung verabscheut.185 Seiten zum Lesen und Staunen.