Bei "The Tearsmith" war ich mir anfangs nicht sicher, auf welche Art von Geschichte ich mich einlasse. Ist es einfach nur eine Liebesgeschichte oder gibt es eine übernatürliche Komponente? Was ist mit der Legende vom Tränenmacher, die im Klappentext erwähnt wird, gibt es diese Figur wirklich? Haben Rigel oder Nica magisches Blut, ist einer von ihnen nicht menschlichen Ursprungs? Tatsächlich war ich mir ganz lange auch nicht zu 100% sicher, worauf die Story nun eigentlich hinausläuft. Aber erstaunlicherweise störte es mich nicht, denn wie sagt man so schön, trust the process. Genau das habe ich getan und wurde mit einer hochgradig emotionalen, düsteren Geschichte mit Sog-Wirkung der Extraklasse belohnt.Dass Nica lange Zeit im Waisenhaus verbracht hat, merkt man ihr an. Sie ist von den harten Jahren und der Behandlung dort gezeichnet, was es ihr in manchen Situationen schwer macht, sich im normalen Alltag einer Heranwachsenden zurechtzufinden. Besonders ihre Menschenkenntnis habe ich im Laufe des Buches öfter arg angezweifelt, ihre Gutgläubigkeit und Verträumtheit haben ihr viele Steine in den Weg gelegt. Aber gerade deshalb ist sie eine unheimlich liebenswerte Figur, die man schnell gernzuhaben lernt. Ihre emotionalen Narben sind tief, sodass man in den Momenten, in denen sie mit der Vergangenheit konfrontiert wird, tief durchatmen muss, um sich davon nicht ebenfalls wegspülen zu lassen. Die Gefühle, die die Autorin hier transportiert, sind mit Hände greifbar, und wenn Schreibende das schaffen, ist das für mich immer ein Grund, meinen imaginären Hut zu ziehen.Rigel hat unter seiner eiskalten Schale einen guten Kern, der allerdings die Kraft von tausend Sonnen (oder von einer Nica) braucht, um anzutauen. Er verhält sich häufig wie der größte Idiot der Welt, ist unnahbar und schikaniert jede Menschenseele um sich herum. Nur seinen Adoptiveltern gegenüber wahrt er den Schein eines gut erzogenen jungen Mannes. Das macht ihn nicht gerade likeable, auch wenn man weiß, dass da mehr ist. Ein Grund für sein Verhalten, ein Trauma ähnlich wie Nicas, irgendwas, was sein Benehmen entschuldigt.Das Zusammenspiel von Nica und Rigel war, als sähe man Sonne und Schatten miteinander kämpfen. Die eine strahlt eine Wärme und Liebe aus, dass man sich in ihrer Anwesenheit automatisch wohlfühlt, wenn der andere jedoch in der Nähe ist, gehen damit Dunkelheit und Kälte einher. Mal hat das Licht die Oberhand, mal die Dunkelheit, aber auf eine mysteriöse Art und Weise ziehen sie sich gegenseitig an und können nicht ohne einander.Die Geschichte der beiden ist nicht laut oder rasant, sie bewegt sich auf einer tieferen Ebene langsam aber stetig in Richtung eines großen Höhepunktes, der einem das Blut in den Adern gefrieren lässt. Und wenn man dann denkt, man hat es überstanden, hat das wahre Grauen seinen Auftritt.Für mich war das Buch durch und durch eine Überraschung der besten Sorte. Zwei authentische Protagonisten, wie sie gegensätzlicher kaum sein könnten, die sich aber dennoch wie zwei Puzzleteile ergänzen, und tiefgreifende Emotionen, die einen mitreißen und einen jede Seite erleben lassen, als sei man selbst dabei. Ich liebe es!