Ein starkes Thema und eine ehrliche Darstellung, jedoch fehlt es an klarer Struktur und Spannung.
In "Kleine Monster" geht es um eine Familie, deren scheinbare Idylle ins Wanken gerät, als Vorwürfe gegen den siebenjährigen Sohn Luca erhoben werden. Während Mutter Pia an ihrer eigenen Wahrnehmung und Vergangenheit zweifelt, wird die zerstörerische Kraft ungesagter Dinge immer deutlicher. Jessica Lind, geboren 1988 in St. Pölten, ist Drehbuchautorin und Schriftstellerin. Nach ihrem preisgekrönten Debütroman Mama zeigt sie auch in ihrem zweiten Werk eine große literarische Sensibilität und psychologische Tiefe. Der Roman wurde für den Österreichischen Buchpreis 2024 nominiert.Worum geht's genau?Pia und Jakob sitzen im Klassenzimmer der Lehrerin ihres Sohnes Luca. Es habe einen Vorfall mit einem Mädchen gegeben, wird ihnen mitgeteilt. Jakob ist überzeugt, dass Luca unschuldig ist, während Pia von Zweifeln geplagt wird. Diese Zweifel wecken Erinnerungen an ihre eigene Kindheit und werfen die Frage auf, wie viel sie tatsächlich über ihren Sohn weiß. Während Pia versucht, ihre Familie zu schützen, stößt sie immer wieder an ihre Grenzen und wird mit den Schatten ihrer eigenen Vergangenheit konfrontiert. Der Roman beleuchtet eindringlich die Herausforderungen der Mutterschaft, die gesellschaftlichen Erwartungen an Eltern und die Abgründe familiärer Dynamiken.Meine Meinung"Kleine Monster" war mir durch meine "Buchbubble" bereits bekannt, da es vor allem zum Erscheinungszeitpunkt viel Aufmerksamkeit und meist positive Bewertungen erhalten hat. Zunächst sprach mich der Klappentext jedoch nicht besonders an, weshalb ich es dann auch erst dieses Jahr bei einem Buchclubtreffen ausgeliehen und dann innerhalb von zwei Tagen gelesen hab.Das Cover ist passend gestaltet und visuell ansprechend, was mich sofort neugierig machte. Thematisch fand ich den Roman sehr spannend, da er sich mit der Frage auseinandersetzt, wie Kinder ihre Eltern verändern, sie an moralische Grenzen führen und bestehende Überzeugungen infrage stellen. Jessica Lind schreibt in einer klaren, gleichzeitig aber atmosphärischen Sprache, die die intensiven Emotionen gut transportiert. Besonders beeindruckend fand ich die ehrliche Darstellung der Belastungen, die mit Mutterschaft einhergehen: Wie schnell man an die eigenen Grenzen kommen kann und sich selbst kaum wiedererkennt, wird eindringlich gezeigt. Das Zitat auf Seite 55, in dem es heißt: "In Wirklichkeit hat man keine Ahnung, wie es sein wird, wenn man Kinder hat, bis es so weit ist", fasst diese Thematik prägnant zusammen.Die gesellschaftlichen Erwartungen an Eltern - insbesondere an Mütter - werden ebenfalls beleuchtet. Lind hinterfragt klischeehafte Geschlechterrollen und setzt auf starke weibliche Figuren. Besonders erfrischend fand ich, wie bewusst sie den "natürlichen Mutterinstinkt" und die Vorstellung der "aufopferungsvollen Mutter" hinterfragt. Auch die gleichberechtigte Elternschaft zwischen Pia und Jakob wurde überzeugend dargestellt.Ein Highlight des Romans war für mich der kritische Ansatz "Don't protect your daughters - educate your sons." Lind unterstreicht die Notwendigkeit, nicht nur Mädchen zu schützen, sondern auch Jungen zu sensibilisieren. Die Szene, die auf die unbewusste geschlechtsabhängige Erziehung eingeht, erinnerte mich an den Dokumentarfilm Feminism WTF, der ähnliche Experimente zeigt. Solche Ansätze könnten noch stärker in unserer Gesellschaft verankert werden.Trotz dieser positiven Aspekte hatte ich beim Lesen einige Schwierigkeiten. Die Zeitebenen und Erinnerungsmomente waren nicht klar genug gekennzeichnet, was die Orientierung erschwerte. Hier hätte ich mir eine klarere Struktur oder Hinweise gewünscht. Auch zog sich die Handlung in meinen Augen stellenweise. Obwohl das Buch nur etwa 250 Seiten hat, fehlte mir ein durchgehender Spannungsbogen, wodurch es sich länger anfühlte.Hinzu kam, dass der Roman viele Fragen aufwarf, die am Ende nicht geklärt wurden. Das Bild, das zurückblieb, war eine unschöne familiäre Tragik, die etwas unbefriedigend wirkte. Positiv hervorzuheben ist jedoch die unheimliche Grundstimmung, die das Buch an vielen Stellen erzeugt. Man spürt eine konstante unterschwellige Spannung, verbunden mit der Angst vor Eskalationen.Ein weiterer Pluspunkt ist Linds schonungslose Auseinandersetzung mit Themen wie sexualisierte Gewalt, Schuld, Tod, weibliche Wut und Gewalt in der Kindererziehung. Diese Themen wurden eindringlich und ehrlich behandelt, ohne geschönt oder verharmlost zu wirken.FazitJessica Lind gelingt mit "Kleine Monster" ein intensiver Roman, der wichtige Themen wie Mutterschaft, Geschlechterrollen und die Schatten der Vergangenheit aufgreift. Die Sprache ist eindringlich, und die Figuren sind vielschichtig, jedoch fehlte mir ein klarer Spannungsbogen, und die Zeitebenen waren teils verwirrend. Trotz einiger Schwächen ist das Buch lesenswert, da es Denkanstöße liefert und mit seiner ungeschönten Darstellung überzeugt. Ich vergebe 3,5 von 5 Sternen.