Morgan Dicks Debüt "Mickey und Arlo¿ ist ein Roman - den man durchaus als emotional aufgeladener bezeichnen kann - der sich hauptsächlich mit komplexen (Familien-)Beziehungen, Sucht, Identität und der menschlichen Psyche auseinandersetzt. Die Geschichte zweier Halbschwestern, die sich unwissentlich im Rahmen von sieben Therapiesitzungen kennenlernen, bietet viele berührende Momente.Besonders eindrucksvoll (und damit auch oft erschreckend) ist die Darstellung von Mickeys Alkoholismus. Dick beschreibt nicht nur die offensichtlichen Symptome, sondern auch die subtilen psychischen Auswirkungen - das Verdrängen, die Scham, das fragile Gleichgewicht zwischen Kontrolle und tiefem Absturz. Das habe ich in dieser Dimension bisher nicht so oft erlebt.Generell sind die beiden Hauptprotagonistinnen Mickey und Arlo keine simplen Figuren, sondern Frauen mit Ecken, Kanten und Widersprüchen. Mickey ist impulsiv, verletzlich und oft sehr schwer zu ertragen - und genau das macht sie so realistisch. Arlo hingegen, die als Therapeutin eigentlich professionell agieren können sollte, kämpft mit ihren eigenen Gefühlen und hadert mit ihren eigenen Schatten. Die Gespräche zwischen den beiden Frauen - sowohl in den Therapiesitzungen als auch außerhalb - sind der emotionale Kern des Romans. Sie wechseln zwischen schmerzhafter Ehrlichkeit, humorvollen Momenten und verletztem Schweigen, was die Dynamik zwischen den Schwestern authentisch macht. Die Geschwindigkeit der Geschichte ist sehr ausgewogen. Die Enthüllungen kommen nicht schlagartig, sondern für die Lesenden gut dosiert. Das überfordert nicht und hält einen konstanten Lesefluss aufrecht. Allerdings verliert meines Erachtens vor allem der Mittelteil an Tempo. Einige Teile scheinen repetitiv, ohne dass man eine wirkliche Charakterentwicklung spürt. Das ist manchmal ein klein wenig schade. Schade finde ich auch, dass einige Szenen sehr konstruiert wirken. Innerhalb des Kerns der Geschichte, dass zwei Halbschwestern aufeinandertreffen, fallen einige Begebenheiten irgendwie aus dem Rahmen, weil sie stark überzeichnet sind und daher leider unrealistisch wirken. Auch Arlos Welt scheint mir nicht voll auserzählt. Während Mickey so unfassbar komplex ist, bleibt Arlo mehr oder weniger nur klischeehaft hinter ihrer Halbschwester zurück.Der Roman endet offen. Das könnte für Leser:innen, die ein klares Ende einer Geschichte brauchen, möglicherweise unbefriedigend sein. Für mich hat das offene Ende sehr gut in die komplexe Thematik und die Entwicklung der Geschichte gepasst, dennoch blieb das Gefühl, dass manche Konflikte leider zu abrupt abgebrochen wurden. Daher mein Fazit: "Mickey und Arlo¿ ist ein Roman, der berührt, nachdenklich macht und die Leser:innen mit den Herausforderungen familiärer Beziehungen konfrontiert. Die authentische Darstellung psychischer Erkrankungen und die nuancierten Dialoge sind klare Stärken. An einigen Stellen kämpft der Roman mit einem unausgeglichenen Tempo, einigen Logiklücken und einer nicht ganz ausgereiften Charakterentwicklung auf Arlos Seite. Wer sich auf eine emotionale, teils schmerzhafte Reise durch die Komplexität von Familie, Identität und Vergebung einlassen möchte, wird dennoch viel aus diesem Buch mitnehmen können. Perfekt für Leser:innen, die gerne tief in emotionale Konflikte eintauchen und bereit sind, sich auf Figuren einzulassen, die nicht immer sympathisch sind - aber gerade deshalb im Gedächtnis bleiben.