Besprechung vom 13.12.2024
Arbeit an der neuen Physik
Auf dem Stand der Forschung, verständlich, gut erzählt: Thomas de Padova legt eine exzellente Darstellung des Wegs zur Quantenmechanik vor.
Über eine Wissenschaft wie die Quantenphysik zu schreiben ist keine leichte Angelegenheit, das wussten seriöse Journalisten schon vor hundert Jahren. Paul Kirchberger - studierter Physiker, der zum Wissenschaftsjournalisten wurde - erläuterte etwa im Februar 1925 in der Frankfurter Zeitung "unterm Strich" die Quantentheorie von Max Planck in dem Beitrag "Der Kampf um die Wellenlehre". Er wurde zu einem der besten Vermittler der modernen Physik in der Weimarer Zeit.
Thomas de Padova knüpft als Physiker und Wissenschaftsjournalist an diese Tradition an und legt ein populär gehaltenes Buch zur Quantenrevolution vor, das dem historischen Forschungsstand annähernd gerecht wird. Der Autor tritt an, das physikalische und historische Wissen der Spezialisten einem breiten Publikum zu vermitteln, indem er es übersetzt und verständlich macht, passende Bilder sucht und auch findet.
Das "Quantenlicht" ist keine Metapher, es geht um Licht, von der Elektrifizierung Berlins und der Suche nach der richtigen Strahlungsformel, die Max Planck dort 1900 aufstellte, bis zur Quantenoptik mit ihren verblüffenden Effekten, deren Realisierbarkeit ganz wesentlich auf dem Laser beruht, der Quantenlichtquelle par excellence. De Padova tut gut daran, sich im Wesentlichen auf die Zeit von 1919 bis 1929 zu konzentrieren, denn in ihr fanden die grundlegenden Veränderungen in der physikalischen Beschreibung der Welt statt, deren Konsequenzen die Physik bis heute beschäftigen.
In den drei Teilen des Buches geht es um mehr, als deren Titel ankündigen. "Licht und Materie" handelt von Max Plancks Wirkungsquantum, Albert Einsteins Lichtquanten und Niels Bohrs Atommodell, aber auch davon, wie in Deutschland nach dem Krieg und während des Boykotts der deutschen Wissenschaft moderne Physik dennoch florieren konnte, wie also eine neue Physikergeneration unter die Fittiche einiger weniger einflussreicher Professoren genommen wurde, um ambitionierte Forschungsprogramme und Karrieren voranzubringen. Selbst wenn Ausgangs- und Zielpunkt des Buches das Berlin von Planck und Einstein ist, führt der Weg zu den fundamentalen Neukonzeptionen der Naturbeschreibung und des Verständnisses der atomaren Welt in das ruhigere Kopenhagen und das beschauliche Göttingen. Auch die Relativitätstheorie samt den über sie geführten Debatten erscheint im ersten Teil, denn in diesem Umfeld wuchsen die späteren Stars der Quantenphysik wie Werner Heisenberg und Wolfgang Pauli in die Physik hinein.
"Wellen und Teilchen" handelt dann davon, wie der historisch wiederholt geführte Wettstreit, ob Licht aus Teilchen bestehe oder eine Wellenerscheinung sei, im zwanzigsten Jahrhundert mit einem Remis endete. Beide Sichtweisen wurden gebraucht, wie sie aber verknüpft werden konnten - etwa dass ein Teilchen durch eine Welle "geführt" würde -, blieb offen. Es geht aber auch darum, dass ohne das neutrale Dänemark und Bohrs Kopenhagener Institut, wo internationales Teamwork in der Wissenschaft gelebt wurde, aus der neuen Quantenphysik nichts geworden wäre. Nirgendwo sonst wurden experimentelle Ergebnisse und theoretische Überlegungen so intensiv ausgetauscht und ihre Bedeutung ausgehandelt wie hier, wo sich Institutsmitglieder und zahlreiche von der Rockefeller-Stiftung gut honorierte Gäste trafen.
Der letzte Teil schließlich, "Quantenlicht und Quantenatom" handelt vom Durchbruch zu einer neuen Quantenmechanik in Göttingen als Ergebnis eines gelungenen Teamworks, im Kern zwischen Heisenberg, seinem Göttinger Professor Max Born und dessen Assistenten Pascual Jordan, aber im weiteren Kreis auch mit vielen anderen, die als Postdoc bei Bohr gewesen waren, etwa Wolfgang Pauli, Ralph Kronig oder Hendrik Kramers. Und es folgten die bekannten Schritte der Ausarbeitung und Deutung der Theorie: die Bohr-Einstein-Debatte um den Welle-Teilchen-Dualismus, die Schrödinger-Gleichung, die Unschärfe-Relation und die Wahrscheinlichkeitsinterpretation.
Wie sorgfältig de Padova die Forschungsliteratur berücksichtigt, zeigt sich besonders darin, dass er den immer wieder verbreiteten, aber durch nichts belegten Helgoland-Mythos beiseitesetzt. Die physikalische Welt hatte nicht auf einen Parsifal namens Werner Heisenberg gewartet, der zur Erlösung auf eine Insel fahren musste. Heisenberg leistete nicht mehr und auch nicht weniger als einen der wichtigsten Beiträge im Teamwork, das 1925 zur Formulierung der Quantenmechanik führte.
Zum Schluss kehrt der Leser mit de Padova in die Metropolen zurück. Neben Berlin, wo Einstein Probleme mit der neuen Theorie sieht und sie mit Gedankenexperimenten herausfordert, auch nach Brüssel, wo sich 1927 erstmals die gesamte internationale Crème de la Crème der modernen Physik zu einem Kongress trifft. Ihr gelingt es, in sechs Tagen und sechs Nächten eine Vielzahl von experimentellen Befunden und theoretischen Einsichten zusammenzutragen und zugleich neue Fragen zu stellen, die die Physik etwa sechzig Jahre beschäftigen sollten, ob es nun um die Realität von Photonen oder Materiewellen, um Komplementarität oder "verschränkte" Systeme ging. Das goldene Doktorjubiläum von Max Planck, das die deutschen Physiker 1929 in Berlin feierten, bildet einen Schlussakkord und eine Zäsur. Bald war die Quantentheorie nicht mehr eine Sache von Berlin, Kopenhagen oder Göttingen, sondern der ganzen physikalischen Welt.
Das Buch überzeugt durch seine erzählerischen Qualitäten und seine souveräne inhaltliche Anlage. Vor allem ist es dem Autor gelungen, eine stimmige Balance aus wissenschaftlichen, kulturellen und politischen Aspekten zu erreichen. Die Entwicklungslinien des Quantenjahrzehnts von 1919 bis 1929 entsprechen dabei einer vielstimmigen Komposition. Das Fundament wird von Planck, Einstein und Bohr bestimmt, Spitzentöne kommen von Heisenberg, Pauli oder auch Paul Dirac. Entscheidend aber sind die vielfältigen und bisweilen auch gegen-läufigen Mittelstimmen, die erst den Zusammenklang erzeugen und die historische Errungenschaft der Quantenphysik zur Erscheinung bringen. De Padova gelingt es, diese Verflechtung verstehen zu lassen. ARNE SCHIRRMACHER
Thomas de Padova: "Quantenlicht". Das Jahrzehnt der Physik 1919-1929.
Hanser Verlag, München 2024. 432 S., Abb., geb.
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