Das Diplomatische ist eine Eigenschaft der Person, keine Eigenschaft der Gesellschaft. Wie aber kann der eine die Wirklichkeit des anderen erfassen? Ist Individualität unauswechselbar und unwiederholbar, oder gibt es Kommunikationsbrücken zum Anderen? Ist intersubjektive Annäherung durch einen atmosphärischen Bereich von Sympathie möglich? Wann ist der Andere nicht mehr Mittel zu eigenen Zwecken, sondern in seiner Würde Selbstzweck? Vermittelt diplomatisches Verhalten zwischen dem Individuum und der Gesellschaft auf der Basis "verbindender Formen"? Ist Diplomatie die womöglich einzige Methode, politische Probleme ohne Gewalt zu lösen? Ist die erste diplomatische Tugend die Wahrheitsliebe? Warum greift die Definition von Diplomatie als institutionellem Instrument außenpolitischer Interessen zu kurz? Und fällt bei alldem diplomatisches Verhalten nicht "wesenhaft in den Bereich der existentiellen und nicht der völkerrechtlichen, außenpolitischen, verwaltungstheoretischen, institutionssoziologischen Problematik", wie der Autor klar definiert?
Mit solchen Fragen und Thesen hat Peter Schwankl in seiner hier zum ersten Mal publizierten Untersuchung den gesamten Bereich des Diplomatischen in seinen historischen institutionellen, sozialen und interpersonalen Dimensionen aus psychologischer, philosophischer, soziologischer und politischer Sicht aufgerollt. Dabei konnte er sich auf Forschungsarbeiten von Helmuth Pleßner, Severus Clemens, Heinrich Wildner und Harold Nicolson oder Ernest Satow, aber auch Henry Kissinger beziehen; für weitere problemgeschichtliche Zusammenhänge berief er sich insbesondere auf zentrale Begriffe wie den "Ernst" und die "indirekte Mitteilung" bei Sören Kierkegaard, die "Sozialsphäre" bei Max Scheler, "soziale Begrenzung" bei Georg Simmel, auch Verweise auf die besondere Stellung des Funktionärtums bei Josef Stürmann und die Dimension des Absurden bei Albert Camus fehlen nicht. Methodisch folgt die Untersuchung im Sinne von Alexander Pfänder dem phänomenologischen Verfahren.
Der Autor: Peter Schwankl (1930-1981) studierte Philosophie und Psychologie sowie Physik und Mathematik an der Universität München. Er promovierte bei Josef Stürmann, Schüler von Alexander Pfänder, mit einer systematischen Arbeit über das Unbewusste. Nach einer Assistentenzeit absolvierte er ein Studium der Internationalen Beziehungen am Bologna Centre of the School of Advanced International Studies of the John Hopkins University und der Politischen Wissenschaften an der Universität München. Anschließend wirkte er am German Department der University of the Punjab in Lahore (Pakistan) und war Leiter des dortigen Deutschen Kulturinstituts. Nach einer Tätigkeit im Auswärtigen Dienst auf diplomatischen Posten (Presse, Kultur) in Westafrika und Südostasien engagierte er sich ab 1966 in der Friedrich Ebert Stiftung im Bereich der internationalen Beziehungen.
Der Herausgeber: Georg Lechner war langjähriger Leiter von Goethe-Instituten in Asien, Nordamerika und Europa und ist Buchautor, Übersetzer, Essayist und Dokumentarfilmer. Er ist u. a. Initiator der "East-West Encounters" Bombay und Vorstandsmitglied des Indien-Instituts München.
Inhaltsverzeichnis
Inhalt
Vorwort
I. Einleitung
1. Ausgangspunkte der Untersuchung
1.1. Diplomatie: Institution und Person
(Das Ungenügen der üblichen Definition von Diplomatie)
1.2. Das Ungenügen von Diplomatie überhaupt
1.3. Das Ungenügen der bisherigen Diplomatietheorie
1.4. Einführung zum existentiellen Problem der Diplomatie
2. Charakter der Untersuchung
2.1. Problemstellung, Gegenstand und Methode
2.2. Problemausgang und Absicht
2.3. Verständnisschwierigkeiten
3. Wissenschaftlicher Wert der diplomatologischen Quellen
4. Wodurch die Frage nach dem Wesen von Diplomatie nicht beantwortet werden kann
I I. Voruntersuchung: Bedeutungen, Deutungen und Meinungen
5. Exkurs: Etymologie von "Diplomatie"
6. Sprachgebrauch, Deutungen und Meinungen
6.1. Sprachgebrauch von "diplomatisch" und "undiplomatisch"
6.2. Die negativen Vorurteile über Diplomatie
6.3. Einstellungen zu Diplomatie
6.4. Was meint man mit "diplomatisch"?
Was meint man mit der Charakterisierung "ein diplomatischer Mensch"?
I I I. Untersuchung über Wesen und Vor aus setzungen
7. Systematische Differenzierung des Sachbereichs
8. Das diplomatische Verhalten
8.1. Die Konstitutivmomente des diplomatischen Verhaltens
Exkurs: Diplomatie und Wahrheit
Exkurs: Gesellschaftliche epoché
8.2. Exkurs: Diplomatischer, kategorischer und heroischer Charakter
8.3. Die Problematik von Katalogen diplomatischer Tugenden und die Phänomenologie der diplomatischen Gesinnung
8.4. Der diplomatische processus (das Konstitutivfeld des Diplomatischen)
8.5. Der Wesenskern des diplomatische Verhaltens und sein letztes Ziel
8.6. Exkurs: Psychologische Gefahren diplomatischen Verhaltens
8.7. Exkurs: Psychologische Typen von Diplomaten und Diplomatie
8.8. Die Wesensarten des diplomatischen Verhaltens
(Die Grundstrukturen von Diplomatie)
Exkurs: Transzendentale Diplomatologie
8.9. Die letzten Voraussetzungen diplomatischen Verhaltens
8.9.1. Die Grundantriebe diplomatischen Verhaltens
8.9.2. Die situationellen Grundvoraussetzungen des diplomatischen Verhaltens
9. Das diplomatische Verhalten und der Andere
(Die Grenze zum Anderen und ihre Überschreitung)
9.1. Die spezifisch diplomatische Formalität und die spezifische " soziale Begrenzung" (Georg Simmel) der diplomatischen Person
9.2. Sören Kierkegaards Problem der intersubjektiven Begegnung und das diplomatische Verhalten
9.3. Die intersubjektive Grundproblematik des Diplomatischen
9.4. Diplomatie als Bewältigung der Begegnung mit dem Fremden
10. Das diplomatische Verhalten und die Gesellschaft
11. Die Zuordnung des Sachverhalts "diplomatisch" zu Sachen
Exkurs: Diplomatie in der Wissenschaft
IV. Untersuchung zu ins t itutionellen Wesensproblemen
12. Diplomatie und Staatskunst
Exkurs: Parteiische Stellungnahme und Parteinahme
13. Diplomatie als Reziprozität
14. Diplomatie als Gesellschaftskultur
15. Diplomatie und Revolution
16. Diplomatische und geheime Tätigkeit
17. Diplomatische Sprache und understatement
18. Exkurs: Indirektheit und Direktheit
V. Zusammenfassung
Nachwort von Georg Lechner