Was bringt Menschen dazu, andere Menschen zu töten? Die Autoren verbinden die Erkenntnisse aus verschiedenen Wissenschaften, um in dieser Menschheitsgeschichte der Gewalt aufzuzeigen, unter welchen Bedingungen es zu Krieg, Mord und Totschlag kommt. Und wie wir diese in Zukunft verhindern können.
Warum Krieg kein Schicksal ist
Das Unvorstellbare ist eingetreten: Der Krieg ist zurück - und bedroht uns alle. War der lange Frieden in Europa nur ein kurzes Intermezzo? Ereilt uns nun das Schicksal, weil wir nicht gegen unsere kriegerische Natur ankönnen? Höchste Zeit, den evolutionären Wurzeln der Gewalt nachzuspüren. Die drei Bestsellerautoren brechen zu einer Menschheitsgeschichte der anderen Art auf. Sie präsentieren die aktuellen Forschungen über Schimpansen und Bonobos, spüren der Archäologie von Mord und Totschlag nach und zeigen, wie der Krieg Despoten und Staaten, aber auch Götter groß machte. Ihre Botschaft: Wir sind nicht zum Krieg verdammt, fallen ihm jedoch, wenn wir nicht aufpassen, nur allzu leicht zum Opfer.
Besprechung vom 15.03.2025
Evolutionär betrachtet
Dass die Sesshaftwerdung unserer als Kleingruppen von Jägern und Sammlern ihr Auskommen findenden fernen Vorfahren, die mit diesem Schritt auf den Entwicklungspfad von größer werdenden, hierarchisch ausdifferenzierten Gesellschaften/Staaten gebracht wurden, eigentlich eine fatale Weichenstellung gewesen sei, ist kein neuer Gedanke. Aber auffällig ist, dass diese Einschätzung in den letzten Jahren von Anthropologen und Archäologen wieder häufiger traktiert wird, wohl auch befördert vom Erfolg eines Autors wie David Graeber, der die Form einer anthropologisch unterlegten Gesellschaftskritik wieder an ein großes Publikum brachte. Auch die drei Autoren - ein Archäologe, ein Zoologe/Anthropologe und ein Wissenschaftspublizist - eines vor Kurzem erschienenen Buchs über "Die Evolution der Gewalt" (Harald Meller, Carel van Schaik, Kai Michel: "Die Evolution der Gewalt". Warum wir Frieden wollen, aber Kriege führen. Eine Menschheitsgeschichte) sehen die Menschheit durch diesen Übergang auf einen "Irrweg" gebracht, der nicht zuletzt von Gewalt und Unterdrückung gekennzeichnet ist, aber doch bloß ein "Intermezzo" gewesen sein könnte, wenn wieder eine Orientierung "am evolutionär entwickelten Ethos der Jäger und Sammler" gelänge.
Denn auf dieses Ethos, so die Autoren, liefen die "zwölf evolutionär gewonnenen und archäologisch abgestützten Lektionen gegen den Krieg" meist hinaus, die sie ans Ende ihres Buches gestellt haben. Ein Versuch also in evolutionärer Aufklärung über den Krieg.
Unter ihnen finden sich nicht zuletzt Variationen des Hinweises, dass Krieg nicht naturgegeben ist und auf Dauer gestellt war, sondern "nur eine kulturelle Eigenschaft" ist, was als gleichbedeutend aufgefasst wird mit: prinzipiell abstellbar. Eine großartige Einsicht ist dieser kulturelle Charakter freilich nicht, denn als soziale Angelegenheit, zudem eine hochstufige, ist Krieg selbstredend eine Sache der zweiten, kulturell geprägten Natur (aus welcher die erste sich kaum umstandslos herauslösen lässt). Gleiches gilt für die Feststellung, dass Gewalt nicht die einzige menschliche Konfliktlösungsstrategie ist. Auf den menschlichen Widerwillen, andere zu töten, den man hier ebenfalls angeführt findet, kann man wiederum nicht bauen. Denn zum einen lässt sich dieser Widerwille leicht aufheben, und zum anderen ist Krieg ohnehin nicht die Addition von individuellen Tötungsversuchen (vom Dazwischentreten der Fernwaffentechnik zu schweigen). Dass es eine evolutionäre Betrachtung brauche, um einzusehen, dass Krieg weder "gottgewollt noch naturgegeben (ist) - und auch nicht im Sinne angeblicher Ideale wie Nation, Rasse, Volk oder Klasse", wird man nicht unbedingt unterschreiben wollen. Und dass Würde und Leben eines Menschen kontrafaktisch unantastbar sind, gehört in ein anderes Register.
Es ist die eingangs angeführte Einschätzung der Folgen der neolithischen Revolution, die hinter dem Anspruch der Autoren steht, dem Krieg endlich jegliche Legitimation entzogen zu haben. Denn kriegerische Gewalt sei ein Erbe der gesellschaftlichen Organisation und Lebensweise, die mit den frühen Staaten entstanden sind (wo dann wenige das Sagen haben und die vielen in den Krieg schicken können). Woraus sich nicht nur die Rückbesinnung auf das Ethos der Jäger und Sammler ergibt, sondern auch der Verdacht, dass Staaten nicht die richtigen Akteure sein könnten, auf die für eine Ächtung des Kriegs wirklich zu bauen ist.
Am Staat vorbei oder gegen den Staat, wie es mehr oder minder anarchistisch eingefärbte Behandlungen des Themas vorführen, soll der Weg hier zwar offenbar nicht führen. Aber inner- wie zwischenstaatlich soll es um eine Art demokratische Wiedergewinnung nach dem Vorbild der Egalität in den Kleingruppen von einst gehen und vor allem auch um den Abbau materieller Ungleichheiten.
Die Zukunft lockt also in dieser menschheitsgeschichtlichen Perspektive mit einer Rückgewinnung der auf Gleichheit ausgelegten Natur des Menschen - des "Homo sapiens vor 12.000 Jahren", der dann auf einen fatalen Weg kam. Ein ziemlich großes Projekt, das mit konkreten "Therapien" anzugehen, so heißt es in der Vorbemerkung zu diesen evolutionär gewonnenen Lektionen, "Aufgabe der Politik" sei. Diese nicht näher bestimmte Politik bekommt dafür auch den Zuspruch, den endlich auf empirischer Basis geben zu können die Autoren sich gutschreiben: Alles spreche doch dafür, "dass uns zumindest die menschliche Natur dabei nicht im Wege steht". Ja sogar: "Im Gegenteil, sie ist auf unserer Seite und sehnt sich nach Frieden."
Bloß hat das die letzten 12.000 Jahre halt nichts genutzt. Aber was sagt das schon angesichts des Zeitraums der Menschheitsgeschichte, wie Anthropologen und Archäologen ihn überblicken. Er schrumpft zur kleinen "Anomalie", die zu beheben "wir" (in demokratisch organisierten Massengesellschaften) überdies doch schon im Begriffe sind.
Da gehen im Blick so weit zurück auf schon wieder erstaunliche Weise die Turbulenzen der Gegenwart unter. Allerdings nicht der Sinn für aparte Botschaften, die sich an Prinzipielles halten. Wir sehen ein, es mit Bestsellerautoren zu tun zu haben. HELMUT MAYER
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