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Von wegen 'graue ' Vorzeit ! Dieser feministische Noir über die Altsteinzeit erzählt schwarzhumorig, rasant und bildstark vom Geschlechterkrieg der Spezies Homo sapiens, räumt kundig und gewitzt mit patriarchalen Geschichtsmythen auf und hält heutigen Gesellschaften nonchalant einen Spiegel vor die Nase.

Produktdetails

Erscheinungsdatum
22. Oktober 2024
Sprache
deutsch
Auflage
Erstauflage
Seitenanzahl
203
Reihe
Ariadne, 1279
Autor/Autorin
Hannelore Cayre
Übersetzung
Iris Konopik
Verlag/Hersteller
Originaltitel
Originalsprache
französisch
Produktart
kartoniert
Gewicht
206 g
Größe (L/B/H)
179/113/17 mm
ISBN
9783867542791

Portrait

Hannelore Cayre

Hannelore Cayre ist Strafverteidigerin in Paris, schreibt Romane und betätigt sich als Schauspielerin, Drehbuchautorin und Regisseurin. Früher war sie Finanzchefin einer Filmproduktions­firma. Irgendwann langweilte sie das Finanzwesen, die Juristerei hingegen faszinierte sie. Cayre spezialisierte sich auf Strafrecht und wurde Pflicht­verteidigerin. Für »Die Alte« erhielt sie den Prix du polar européen und den Grand Prix de littérature policière. Sie selbst schrieb das Drehbuch für den Kinofilm »Eine Frau mit berauschenden Talenten«.

Pressestimmen

Besprechung vom 04.11.2024

Femina sapiens
Hannelore Cayre am prähistorischen Tatort

Hannelore Cayres "Finger ab" unter Kriminalroman zu verbuchen setzt Großzügigkeit den ohnehin stark aufgeweichten Genregrenzen gegenüber voraus. Verbrechen werden in dem Roman jede Menge begangen - Körperverletzung, Raub, Entführung, Totschlag, Mord -, aber so recht interessiert das niemanden, weil man diese Taten als Bestandteil des Alltags bewertet. Strafverfolgung, Polizeiarbeit, alles noch nicht erfunden. Auch Trauer um verlorene Angehörige hat keinen großen Stellenwert. Mord verjährt eben doch, vor allem wenn er 35.000 Jahre zurückliegt.

Wir starten zunächst im Spätkapitalismus: Laurence will ihr Anwesen in der Dordogne mit einem Swimmingpool aufwerten, ohne Baugenehmigung. Aber da man das Grundstück von der Straße aus nicht einsehen kann, beauftragt sie polnische Bauarbeiter mit dem Aushub. Vorarbeiter Slawek Winiarczyk stößt auf den Eingang zu einer Höhle, darin das Skelett einer Frau. Die Polen bestehen darauf, einen Priester hinzuzuziehen, aber gemessen am Alter der Artefakte, die rund um das Skelett liegen, existierte die Höhle sehr lange vor Christi Geburt.

Der Fund lässt sich nicht verheimlichen, "ein beschissener Albtraum". Archäologen fallen ein und wie stets, wenn sie das tun, ist die Rede von einer Sensation. Die Stunde der feministischen Paläontologie schlägt. Die junge Wissenschaftlerin Adrienne Célarier meint, den Beweis antreten zu können, dass Frauen schon im Aurignacien, jener Kultur im Jungpaläolithikum, welche die Ablösung des Neandertalers durch den zugewanderten, dunkelhäutigen Homo sapiens markiert, eine ganz andere, größere Rolle gespielt haben. Und noch eine Frage stellt sich: War die "Winiarczyk-Höhle" ein Tatort? An den Wänden sind viele Negativabdrücke von Händen, "denen allen ein oder mehrere Fingerglieder fehlen".

Der Roman hält sich nicht in der Gegenwart und ihren vertrauten medialen Reflexen auf. Er zoomt mitten hinein in das Gerammel einer Sippe von Homo sapiens. Oli kann nicht einschlafen, weil ihre Schwester "unter den Stößen des Spinners" zu laut stöhnt. "Männer, was für eine Plage", denkt sie. Hannelore Cayre hat ihre Fähigkeit, Sexszenen gleichzeitig explizit und lustig zu schildern, nicht eingebüßt.

Oli, das ist die Frau, deren sterbliche Überreste in der Höhle entdeckt wurden. Sie ist die Protagonistin des Romans, eine Quertreiberin, die der Anführer der Sippe, "Ältester Onkel" genannt, am liebsten tot sähe, weil sie die Dominanz der Männer und damit die Ordnung der Welt infrage stellt: Sie geht zur Jagd, und das ist im kosmischen Schöpfungsplan nicht vorgesehen. Wer dagegen verstößt, der werden Fingerglieder abgehackt. Oli spricht auch mit den Ahnfrauen, hält so die Verstorbenen der Sippe über das Tagesgeschäft auf dem Laufenden und holt sich Rat bei ihnen.

Da sie eine Kriegerin und Erfinderin ist, überquert sie den Fluss, trifft auf weißhäutige Neandertaler, die sie äußerlich abstoßend findet, deren Sprache ihr primitiv vorkommt. Denn Oli denkt und spricht im Roman wie eine unserer Zeitgenossinnen, das ist einer von Cayres Kniffen, mit denen sie erst gar keine Überheblichkeit aufkommen lässt. Und sie hat ihre Hausaufgaben gemacht: Ein kommentiertes Literaturverzeichnis listet die wichtigsten Veröffentlichungen auf, auf die sich Cayre stützt, darunter die Arbeiten der italienischen Anthropologin Paola Tabet, besonders deren Buch "Le dita tagliate" (Die abgeschnittenen Finger, 2014), das ins Französische, nicht aber ins Deutsche übertragen wurde.

Die Neandertaler offenbaren Oli etwas Grundstürzendes: Ihre Frauen sind nicht auf die Rolle der Sammlerin oder Fischfängerin reduziert - "und trotzdem war die Welt davon nicht ins Chaos gestürzt, wie man es ihr immer eingebläut hatte". Oli bricht schließlich allein Richtung Westen auf, sie will mit eigenen Augen sehen, wovon die Männer jedes Jahr mit mehr Ausschmückungen am winterlichen Lagerfeuer erzählten - den Rand der Welt. Auf dieser Wanderschaft hat sie etwas im Gepäck, das diese Welt verändern wird: die Erkenntnis, dass Schwangerschaftsbäuche ursächlich mit einem neun Monate zurückliegenden, längst vergessenem Paarungsakt zu tun haben. HANNES HINTERMEIER

Hannelore Cayre: "Finger ab".

Aus dem Französischen von Iris Konopik. Ariadne im Argument Verlag, Hamburg 2024.

204 S., br.

© Alle Rechte vorbehalten. Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt.

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LovelyBooks-BewertungVon Manfi am 09.12.2024
Interessanter Anfang, verliert jedoch an Spannung durch den übermässigen Fokus auf Feminismus zur Zeit der Neandertaler.