Ein Thriller um Liebe und Verrat und den Konflikt zwischen einem vernachlässigten Militär und einer Gesellschaft, die Frieden zu lange als selbstverständlich erachtet hat
Nachdem auf der Hochzeit eines Elitesoldaten der Bundeswehr eine tödliche Bombe hochgeht, beginnt Kriminalhauptkommissar Erich Kleinrädl zu ermitteln. Während er und sein Team die Hochzeitsgäste vernehmen, stellt die Boulevardpresse ihre eigenen Vermutungen an: Hat Inka Minden, die Ex-Freundin des Bräutigams, etwas mit der Sache zu tun? Welche Rolle spielt der ehemalige Scharfschütze Jonathan von Holl, der über dem Gesetz zu stehen scheint? Das LKA beurteilt die Bombe als ein Werk von Fachleuten. Ein zweiter Anschlag erhöht den Druck auf Kleinrädl. War die Bundeswehr das eigentliche Ziel des Attentats? Die Lage wird immer unklarer. Steckt der Feind gar in den eigenen Reihen?
Besprechung vom 03.02.2025
Reserve hat keine Ruh
Lars Sommer begibt sich unter die Soldaten
Im heißen Sommer des Jahres 2024 ist Deutschland wieder einmal vom Fußball voll am Kopf getroffen wegen Europameisterschaft. Bei einer Hochzeitsparty in einem Schloss nahe München wird die Limousine, in der das Brautpaar gerade abfahren will, von einer Bombe zerfetzt. Die frisch Vermählten sind tot, einige Gäste schwer verletzt. Bis die Polizei eintrifft, übernimmt ein Mann das Kommando, der beim BKA in Wiesbaden für die Abteilung Forensische Ballistik arbeitet: Jonathan von Holl.
Auf der Gästeliste: Münchner Society - die Braut war eine schillernde Schönheitschirurgin - und ehemalige Elitesoldaten, darunter Scharfschützen der Bundeswehr. Kameraden des Bräutigams, dem aus einer marokkanischen Familie stammenden Hossam Said, der in Afghanistan stationiert war. So wie von Holl, der weiß, was zu tun ist. "Im Handbuch heißt es, nach der Sprengfalle kommen die Mörser. Die Erfahrung sagt, alles ist möglich."
Ebenfalls geladen ist Hossams Verflossene, der dieser kurz vor seinem Tod versichert, er hätte alles für sie getan. Eigentlich hätte Hossam viel besser zu Inka Minden gepasst, was im Übrigen auch der Bruder der Braut so sieht. Minden war Klettersportlerin, schulte als Heeresbergführerin die Truppe. Mittlerweile arbeitet sie als Psychotherapeutin für Jugendliche. Sie ist eine Identifikationsfigur mit Narben, an deren Seite der Leser ins Gefecht zieht.
Ein politisch wie menschlich ziemlich explosives Gebräu also, das der Autor auftischt. Lucas Fassnacht, 1988 geborener Schriftsteller, Poetry-Slammer und Träger des Nürnberger Kulturpreises, legt unter seinem Pseudonym Lars Sommer nach "Reichswald" (2023) den zweiten Thriller bei Ars Vivendi vor, einem Verlag, der ein verlässliches Händchen für gute Krimis hat.
Die "Innere Führung", Anfang der Fünfzigerjahre erdacht, zielte als Konzept für die neue Bundeswehr als eine in der Gesellschaft verankerte Armee darauf ab, den "Staatsbürger in Uniform" zu verantwortungsvollem Handeln anzuleiten. Was davon geblieben ist nach siebzig Jahren und Zigtausenden von Auslandseinsätzen, auch davon handelt der Roman.
Die Münchner Kripo schickt ihren erfahrensten und unbeliebtesten Mann: Hauptkommissar Erich Kleinrädl. Ein kaputter Typ, der gerade mal wieder dabei ist, die nächste aussichtsreiche Nachwuchskraft zu zermürben, so wie er es immer schafft - ohne es zu wollen. Fragen drängen sich auf: Ist der Anschlag ein Teil eines von langer Hand geplanten Angriffs auf die Bundeswehr, und, wenn ja, kommt er von außen oder von innen? Sind weitere Attentate geplant? Wie könnte man sie verhindern? Nach einem zweiten Anschlag drehen die Medien am Rad, der Polizeipräsident sowieso. Kripo, LKA und BKA liefern sich das übliche Kompetenzgerangel.
Klingt nach tausendfach durchgekautem Szenario? Ja, und Lars Sommer tut sich keinen Zwang an, seinen Plot mit Versatzstücken des Genres zu instrumentieren. Dazu gehören Kampfhunde als Schoßhündchen von Ex-Soldaten ebenso wie eine am liebsten durch Blutlachen watende Boulevardreporterin, die vor Fake News nicht zurückschreckt. Dass man die Lektüre nicht vorzeitig aufgibt, hat mit dem Tempo zu tun, das der Autor anschlägt und über eine Strecke von dreihundert Seiten durchhält: Es gibt sie noch, die spannenden Kriminalromane. Das geht natürlich auf Kosten der Metaebene, die da lautet: Bitte etwas mehr Empathie - die Soldaten, die Deutschlands Freiheit am Hindukusch verteidigt haben, fühlen sich unverstanden. Ihre Bilanz ist bitter: "Die Menschen wollten ihre Ruhe. Und dafür waren sie bereit, jede Verantwortung von sich zu weisen, alles zu verraten, was ihnen vorgeblich wichtig war. Sie waren wie Kinder, die sich die Augen zuhielten, damit das Monster sie verschonen würde."
Lars Sommer vermeidet Festlegungen. Die Friedensaktivisten, die Sturm gegen die Bundeswehr laufen, sind recht eigentlich viel aggressiver als die Soldaten. Und das seelische Gepäck der Soldaten vergiftet in Form posttraumatischer Belastungsstörungen das gesellschaftliche Miteinander. Und dann kommt die Verteidigungsministerin und will im Schlosspark von Nymphenburg auftreten. HANNES HINTERMEIER
Lars Sommer:
"Die Innere Führung". Kriminalroman.
Ars Vivendi Verlag, Cadolzburg 2024.
304 S., br.
Alle Rechte vorbehalten. © Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt am Main.