Vorab, dieser Krimi, der als Thriller beworben wird, ist keine leichte Kost. Jagoda "Milo" Milosevic und Vincent Frey ermitteln in einem komplexen Mordfall: Ein Jogger wird im Hamburger Bürgerpark mit einem Müllsack über dem Kopf ermordet aufgefunden. Der Mann ist nicht nur tot, sondern ihm wurden die Augen entfernt. Wenig später die nächste Leiche - ihm fehlt die Zunge. Recht bald ist klar, dass die beiden nicht nur die Todesart, sondern andere Gemeinsamkeiten teilen. Je tiefer die Ermittler in die Leben der Ermordeten eindringen, desto mehr grausame Details kommen ans Tageslicht, die einen Anflug an Sympathie mit dem Täter aufkommen lässt. Dennoch wird gewissenhaft ermittelt. Die Ermittler nehmen Kontakt zu einer Selbsthilfegruppe, die Vergewaltigungsopfern hilft, auf. Und auch die berühmten drei weisen Affen "Nichts Sehen, nichts Hören, nichts Sagen" spielen eine Rolle .... Meine Meinung: Hinter Leo Adam verbergen sich die Autorinnen Regina Denk und Lea Bitzer, die in diesem Krimi eine wichtige, aber sensible Thematik ansprechen: Der Umgang mit Vergewaltigungsopfern. Wie mit diesem Stigma umgehen? Nach wie zeigen Opfer die Täter aus Scham nicht an. Vor allem dann, wenn sie in einem Abhängigkeitsverhältnis zum Täter feststecken. Auch bei Gerichtsverfahren scheint man manchmal eher auf Täter- als auf Opferseite zu sein. Kein Wunder, dass die traumatisierten Opfer den Wunsch nach Rache verspüren. Manchmal muss man mit seinen Wünschen vorsichtig umgehen, denn sie könnten in Erfüllung gehen. Die Ermittlungen sind spannend angelegt, auch wenn die Spur(en) und das Motiv ziemlich aufgelegt sind. Die einzelnen Opfer erhalten jeweils eigene Kapitel, die in kursiver Schrift geschrieben sind. Damit wird ihnen gebührend Raum gegeben. Neben der Mysogenie und den Verbrechen gegen die Frauen wird noch ein weiteres gesellschaftliches Tabuthema aufgeworfen: Ist Selbstjustiz in jenen Fällen, in denen die Justiz versagt, gerechtfertigt? Der Staat ruft ja sonst auch gerne zur Selbsthilfe auf, wenn er sich, aus welchen Gründen auch immer, außer Stande sieht, helfend einzugreifen. Hilft Selbstjustiz den Opfern wirklich? Und was ist, wenn der Täter ursprünglich selbst ein Opfer war? Wie ist mit solchen Grenzgängern umzugehen? Fazit: Gerne gebe ich diesem fesselnden Krimi, der nichts für Zartbesaitete ist, 5 Sterne.