GELESEN: Roy Jacobsen
Unter den Titeln Die Unsichtbaren bei Osburg Verlag Hamburg 2014 und als Taschenbuch bei Insel Verlag 2015 In jenen hellen Nächten
erschien der 1. Teil der Insel-Saga
270 Seiten
2. Teil Weißes Meer Erschienen 2016 bei Osburg Verlag
264 Seiten
3. Teil Die Kinder von Barroy Erschienen 2021 bei C.H.Beck
268 Seiten
Es ist gerade die einfache, aber aussagekräftige Sprache, die diese dreiteilige, 800 Seiten umfassende Geschichte um Ingrid und ihre Familie so lesenswert macht. Die wenigen Worte, die sie untereinander wechseln, genügen. Erstaunlich ist die Fähigkeit des Autors, dem eigentlich vollkommen banalen Leben, welches erst zu Ende des dritten Bandes etwas Fahrt aufnimmt, einfach gestrickter Menschen eine Faszination zu verleihen.
Auch wenn im Norwegen des 21. Jahrhunderts andere Verhältnisse herrschen, so kann man sich, kennt man ein wenig dieses Land, gut in die damalige Zeit zurückversetzen. Noch immer gibt es Höfe, die nicht an das Verkehrsnetz angebunden sind. Die Menschen müssen lange und beschwerliche Wege in Kauf nehmen, um sich mit Grundnahrungsmitteln zu versorgen.
Ob es Roy Jacobsen selbst oder den Übersetzern Gabriele Haefs und Andreas Brunstermann unterlaufen ist, zeitlich etwas durcheinanderzubringen, weiß ich nicht. Im dritten Band ist Barbo plötzlich drei Jahre jünger geworden als im zweiten Band, was mich etwas irritiert hat, aber der Erzählung natürlich keinen Abbruch tun.
Von mir eine wirkliche Leseempfehlung, die gerade in der dunklen Jahreszeit bei Kerzenschein und Tee absolut authentische Empfindungen weckt.
Wer sich für diese Geschichte interessiert, sollte hier nicht weiterlesen.
Teil I
habe ich in Unkenntnis der Folgebände bereits im August 2021 gelesen und jetzt zum Einstieg in die komplette Geschichte noch einmal.
Roy Jacobsen entführt uns sehr anschaulich und voll Poesie in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts und damit in eine Welt, die es so nicht mehr gibt. Arme Menschen, abgeschieden im hohen Norden Norwegens, reduziert auf Minimales und lebend überwiegend vom Fischfang. Die Boote stehen immer bereit. Wenn das unbeständige Wetter es zulässt, fahren sie hinaus. Sie kehren mit Kabeljau und Köhler nach Hause, die schon die kleine Ingrid auszunehmen vermag.
Der Pfarrer kommt auf ihre kleine Insel, die er noch nie besucht hatte. Von ihr aus sieht er zum ersten Mal sein eigenes Zuhause mit ganz anderen Augen. Gerne fährt er nicht mit dem Boot, denn er hat Angst, aber diesmal muss er, denn Ingrids Taufe soll endlich vollzogen werden. Das kleine Mädchen ist schon drei Jahre alt und die ganz große Freude der Familie.
In jedem Jahr wird Hans von den Lofoten-Fischern abgeholt. Im Januar gehts los, und Anfang April kommen sie erst wieder nach Hause. So lange sind Martin, sein Vater, Maria, seine Frau, Barbo, seine etwas zurückgebliebene Schwester mit der kleinen Ingrid alleine.
Erst wenn die Sonne wieder am Horizont erscheint, wird das Leben angenehmer. Die dunkle Zeit ist vorbei, und sie warten auf Hans und auf den Erlös seines Fanges.
Es gibt immer etwas zu tun. Maria zeigt Ingrid, wie man Daunen reinigt. Daunen sind ihr Gold. Sie werden nur verkauft, wenn der Kurs hochsteht. Ingrid macht das schon sehr geschickt. Sie kann es inzwischen besser als Barbo.
In einem Jahr wird das kleine Haus vergrößert. Hans sprengt dazu ein paar Felsen und fünf Schweden, die vorübergehend bei ihnen im vorbereiteten Schuppen wohnen, helfen mit. Maria ist nicht begeistert. Barbo schon. Ein Helfer der Schweden gefällt ihr sehr. Mit dem Neubau verliert Maria die Aussicht auf ihre Heimatinsel, die sie von ihrem Schlafzimmer immer sehen konnte oder besser gesagt von einem Schlafzimmer, denn sie ziehen immer wieder mit ihren Daunenbetten um. Je nach Wetterlage schlafen sie mal im Nord- oder im Süd-Saal.
Die Natur um sie herum ist unvergleichlich schön, aber auch rau und gefährlich. Im Sommer gibt es ein Blütenmeer, und im Winter schlittern sie über den zugefrorenen Fjord. Mit ihren Feldstechern beobachten sie die einzigartige Vogelwelt und lauschen den Stimmen.
Nach jedem Sturm suchen sie den Strand ab. Alles, was angeschwemmt wird, gehört jetzt ihnen, und da kommt eine ganze Menge zusammen. Fast jedes Teil findet Verwendung.
Die Familie vergrößert sich. Barbo bekommt Lars, und Ingrid kümmert sich rührend um ihren kleinen Vetter, sofern es ihre Zeit zulässt, denn inzwischen besucht sie die Schule auf der Nachbarinsel, die ihr anfangs so gar nicht gefällt. Für Ingrid sollte dies aber die geringste Unliebsamkeit ihres Lebens sein.
Ingrid kommt in Stellung. Sie betreut Felix und Suzanne Tomessen. Um beide Kinder haben sich die Eltern nicht gekümmert. Als zuerst der Vater und dann auch noch die Mutter verschwinden, packt Ingrid alle Habseligkeiten zusammen und rudert mit den Kindern zurück nach Barroy. Man bringt ihnen dort alles bei, was sie auf einem Leben in dieser Abgeschiedenheit können müssen. Als Martin und Hans sterben und auch Maria für viele Monate krankheitsbedingt die Insel verlassen muss, übernimmt Ingrid das Ruder. Ab sofort ist sie die Herrin auf Barroy.
Teil II
Es herrscht Krieg. Ingrid ist 35 Jahre alt und Barbo 59. Ingrid arbeitet auf dem Festland in einer Fischfabrik und Barbo liegt mit Oberschenkelhalsbruch im Krankenhaus. Während eines Schneegestöbers rudert Ingrid nach Hause. Dort, auf ihrer Insel, glaubt sie sich zum ersten Mal in ihrem Leben alleine. Aber das stimmt nicht, denn sie findet zwei Tote und einen fast Toten. Es waren Soldaten. Weitere Leichen sind verstreut über ihre Insel.
Sie pflegt Alexander Nischnikow gesund. Sie bringt ihm alles bei, was für ein Leben auf einer einsamen Insel notwendig ist. Alexander ist aber in Gefahr, und so muss sie ihn verstecken.
Ingrid wird krank. Ihre Nerven machen nicht mehr mit. Für eine lange Zeit bleibt sie im Krankenhaus auf dem Festland. Als sie endlich wieder nach Hause darf, begleitet sie der Arzt Eric Falc Johannsen zu einem Fotografen. Er wünscht sich ein Erinnerungsfoto zusammen mit Ingrid. Anschließend geht er mit ihr zum Schiffsanleger.
Während der Überfahrt kümmert sich Ingrid um die Frauen und Kinder, die kriegsbedingt in ihre Region gekommen sind. Auch noch als sie bereits an der Handelsstation sind, die den Lebensmittelpunkt aller Inselbewohner darstellt. Dort steht das Pfarrhaus leer, und viele Menschen können untergebracht werden.
Erst als alles geregelt ist, geht Ingrid zurück nach Barroy. Es dauert nicht lange, und auch Barbo kehrt endlich zurück. Sie bringt ein Schaf mit und gute Laune und sieht sofort, dass Ingrid in anderen Umständen ist. Sie fragt ihr ein Loch in den Bauch, aber Ingrid erzählt nichts.
Suzanna Tomessen kehrt zurück. Sie ist jetzt 22 Jahre alt und hat ihren sieben Jahre alten Sohn Fredrik dabei, der nach und nach von Arne und Helmer, den Kriegswaisen, zu einem Inselbewohner erzogen wird. Die beiden Halbwüchsigen machen sich seit Monaten nützlich und bauen den längst verlassenen Teil Karvika der Insel wieder auf.
Teil III
Ohne Zeitsprung geht die Geschichte weiter.
Ingrid hat nun ihre Tochter Kaja, deren Vater Alexander ist.
Suzanne hat vor Wochen zusammen mit Barbo einen Brief zu den Lofoten an Felix, ihren Bruder, geschickt. Doch nicht Felix kommt zurück, sondern Lars, Barbos Sohn. Im Schlepptau befinden sich seine Frau Selma und ihre Söhne Hans und Martin sowie Hanna, die Ehefrau von Felix, deren Zwillinge Anna und Sofie und der Sohn Oskar.
Die Kriegswaisen verlassen Barroy. Die Milchroute wird wieder in Betrieb genommen, obwohl es auf der Insel bislang noch keine Kuh gibt. Dafür werden Waren von der Handelsstation angeliefert und Inselerzeugnisse mitgenommen. Der Steuermann ist Johannes Hartvigsen, der immer seinen kleinen Sohn Mathias mit an Bord hat. Der vier Jahre alte Bub ist seekrank, und für ihn ist jede Fahrt eine Tortur. Aber Hartvigsen muss ihn mitnehmen. Seine Frau Olavia, eine geborene Storm, hat ihn verlassen. Ihr war das Leben mit Johannes zu primitiv. Sie stammte aus besserem Hause. Als man Ingrid und Suzanne Johannes das Angebot macht, dass Mathias doch Zeit auf Barroy verbringen könnte, nimmt dieser an, und der Junge bleibt für immer. Zusammen mit der kleinen Kaja sind es bald wieder nur die einzigen Kinder, die aber das Leben von Ingrid und Barbo aufhellen, nachdem Suzanne und auch alle anderen Inselbewohner wieder unterwegs sind.
Ingrid adoptiert Mathias in einem langen Prozess. Jahre später soll auf dem alten Landstück von Johannes Hartvigsen, welches im Besitz von Mathias steht, die neue Schule gebaut werden. Ingrid gelingt es in einer endlosen Verzögerungstaktik einen Preis zu erhalten, der in dieser unglaublichen Höhe noch niemals gezahlt wurde. Sie will das Geld für Mathias anlegen, bis dieser volljährig ist. Lars und Felix ärgern sich darüber. Sie möchten seit Jahren die Salthammer, ihr inzwischen in die Jahre gekommenes Boot, überholen. Ingrid lehnt ab. Etwas verärgert starten sie zusammen mit Hans und Martin, Lars Söhnen, Fredrik, Suzannes Sohn, und Oskar, Felix Sohn, zu den Lofoten.
In einem entsetzlichen Wintersturm geht die Salthammer unter und mit ihr die sechs Männer von Barroy. Für Ingrid, Barbo und Suzanne ist nichts mehr, wie es war.