Ihr Werk ist Selbstdarstellung, ihre eigene Existenz ihnen wichtiger als jede andere Wirklichkeit: Casanova bleibt dabei unbefangen und naiv auf der Oberfläche sinnlichen Erlebens, Stendhal durchsucht sein Seelenleben nach Handlungsmotiven, Tolstoi befragt sich darüber hinaus nach der Gesinnung, die ihn in seinem Tun bestimmt. Da ihre Perspektive allerdings auf das Innen beschränkt bleibt und Objektivität nicht erlangen kann, bleiben sie bei aller Beobachtung doch »Dichter ihres Lebens«.
Diese Biografie der drei Lebenskünstler und Schriftsteller Casanova, Stendhal und Tolstoi ist in typisch Zweigscher Manier wieder ein gelungenes Werk geworden. Zweig stellt hier unter der Idee, dass ein Fortschritt stattfindet zwischen dem Erleben, dem Sich-Selbst Beschreiben und dem Sich Selbst Hinterfragen, die angegebenen drei Dichter hintereinander. Casanova ist für ihn der Lebemensch. er schildert ihn uns in der gewohnten Weise, in dem er wieder und wieder um den Menschen Casanova herumgeht, in ihn hineinblickt, ihn für uns leben, sprechen, schreiben, lieben lässt. So sehen wir Casanova als den oberflächlichen Genussmenschen, der keine Chance auslies, sein Leben bunt zu erweitern, der aber die Begriffe Reue und Moral nie empfand oder lebte. Erst an seinem Lebensende verfasst er die Memoiren, für die er heute unvergesslich ist - aber diese sind keine Innenschau, sondern pure Beschreibung eines prallen Lebens.
Stendhal hingegen zeigt uns Zweig als den ersten Hineinschauer ins eigene Ich, als den, der akribisch seinen eigenen Empfindungen und Motivationen hinterherjagte. Der sensible, freie, ungebundene Beamte - ein Widerspruch? Nein, man lernt verstehen, was es Stendhal bedeutete, im Leben verankert zu sein und doch im Inneren nur zu leben - wir sehen ihn im Napoleonischen Feldzug, dann am Schreibtisch, vor dem Spiegel - sehen den grob gebauten bürgerlich anmutenden und sich dafuer hassenden Menschen, der zeitlebens die Frauen liebte, aber verschmäht wurde, der dann in einigen Romanen am Lebensende sich selbst festheilt und durchschaute.
Tolstoi schließlich steht vor uns als Moralist, der seine eigenen Handlungen hinterfragt. Lebend in einem Russland, in dem verschiedenste Kräfte wirkten, die eigenes moralisches Handeln oft erschwerten, fand Tolstoi die Aufgabe seines Lebens: Die Erschaffung einer neuen Jesus-bezogenen Religion und das Abbilden seines eigenen Ichs mit akribischer hinterfragen der eigenen Motive. Nicht nur Innenschau, sondern Vertiefung der Frage nach dem Grund der Empfindungen stand für Tolstoi im Vordergrund.
Dies ist der letzte der drei vollendeten Teile des Zyklus >Die Baumeister der Welt. Versuch einer Typologie des Geistes<. Die beiden anderen Teile sind >Drei Meister. Balzac, Dickens, Dostojewski< und >Der Kampf mit dem Dämon. Hölderlin, Kleist, Nietzsche<.