Theresa Neges träumt davon im All zu schweben und Beteigeuze näher zu sein, dem gleißend roten Riesenstern im Sternbild Orion, dem sie sich seit ihrer Kindheit verbunden fühlt. Ein poetischer Roman, eigenwillig, bildschön in jedem Satz, mit einer Erzählerin, der man überall hin folgen möchte.
»Mein lieber Schwan, Barbara Zeman kann Sätze schreiben, da hebt es einem den Kehlkopf an. Ein Roman von großer Seele. « Clemens J. Setz
Ein Sprachkunstwerk, aufgespannt zwischen Weltraum und Unterwasserwelt
In einer winzigen blauen Wohnung lebt Theresa Neges. Ihr Name, der übersetzt »Du solltest Nein sagen« lautet, scheint nicht ohne Einfluss auf ihr Leben. Einen Beruf hat sie nicht, auch kein Geld. Sie hat nur Josef, ihren Freund, und auch den nicht ganz, trotz Liebe. In ihrem großen grauen Mantel läuft Theresa durch Wien. Liegt im Hallenbad auf dem Beckengrund und übt das Luftanhalten, sucht den Schwindel auf einem Karussell. Denn eigentlich möchte sie ins All: leicht sein, schweben. Und Beteigeuze näher sein, dem gleißend roten Riesenstern im Sternbild Orion, dem sie sich seit ihrer Kindheit verbunden fühlt.
Ein poetischer Roman, eigenwillig, bildschön in jedem Satz, mit einer Erzählerin, der man überall hin folgen möchte.
»Dieser Roman ist ein Fest des Schauens, und wem das zu pathetisch klingt, der kann es auch eine Party nennen. « Paul Jandl, Neue Zürcher Zeitung über 'Immerjahn'
Besprechung vom 16.11.2024
Einladung zur Verwahrlosung
Eine Sternenfreundin in Konflikt mit der irdischen Banalität: Barbara Zemans Roman "Beteigeuze"
Leidenschaftliche Faszinationen haben immer etwas Kindliches, bisweilen Irrationales, "Krankheiten ohne Hoffnung", wusste Goethe: Theresa Neges - Wienerin, mittelalt, psychisch krank und einigermaßen mittellos, eifersüchtig in einer unglücklichen Dreiecksbeziehung, in der sie der unwichtigste Winkel ist - hat das Weltall, Beteigeuze namentlich. Die Begeisterung für die Sterne ist eine familiäre Hypothek. Ihr Dasein ist darauf ausgerichtet, dem Gestirn näher zu kommen, in Raum oder Bewusstsein. Ihre Wohnung ist voller astronomischer Modelle, die Fliehkraft eines Kettenkarussells soll sie dem Himmel annähern, und sie hält wahlweise auf dem Boden eines Hallenbads oder des Donaukanals die Luft an, bis es nicht mehr geht.
In ihrem 2021 erschienenen Romandebüt "Immerjahn" erzählte die österreichische Schriftstellerin Barbara Zeman die dekadent-absurde Geschichte eines Kunsthändlers, der seine Villa zum Museum umfunktionieren will, sich aber dabei in seiner Vergangenheit verstrampelt. Als sie beim Bachmann-Preis 2022 den Text "Sand" las, der ihrem jetzt erschienenen Roman "Beteigeuze" als Prolog vorangestellt ist, erzeugte sie Verwirrung. Sie schreibt darin über Wasser, Sterne, Josef und Theresa in Venedig, und die Jury konnte wenig mit ihm anfangen.
Das ist nachvollziehbar, weil dieser Text bisweilen erratisch ist, und auch im Roman ist sein Bezug zum übrigen Geschehen jenseits von Ton und Motivik schwammig, denn in Venedig ist Theresa später gar nicht mehr unterwegs. Stilistisch und sprachlich tragen freilich beide Teile Zemans Handschrift - und auch darin, dass bis zum Ende inhaltlich sowieso vieles unklar bleibt.
Gut, dass Literatur mehr ist als das Nachspüren von Kausalitäten, vor allem in diesem Roman: Wie schon in "Immerjahn" kokettiert Zeman auch in "Beteigeuze" mit dem Absurden und Grotesken, ist aber straffer und schneller, durch die Dialoge nahbarer und zugleich morbider als beim Debüt. Eine stringente Handlung gibt es kaum, außer dass man Theresa bei der Verwahrlosung zusieht und ihrer Beziehung mit Josef beim Zerfall in den Zustand, in dem man sich nichts mehr zu sagen hat.
Dafür gibt es viele Eindrücke. Zeman schreibt eher eine poetisierte Persönlichkeitsstudie: Wien und die Welt durch die Brille einer Aussätzigen, einer Fremdbestimmten, der immer mehr die Kleinheit ihrer eigenen Existenz dämmert. Das hat nicht den Anspruch auf irgendeinen Realismus, sondern ist atmosphärisch sublimiert. Es steht zwischen Prosa und Poesie. Einen Bezug zur heutigen Zeit gibt es abgesehen von ein paar Corona-Masken kaum. Es wirkt zeitlos.
Eigentlich ist das eine Geschichte des Aneckens, des Unverständnisses - und der Erfahrung einer sterilen Welt, wenn sie vom Tieftauchen im Donaukanal nass durch Wien läuft, einen Busfahrer bedrängt, er solle sofort stehen bleiben, damit sie aussteigen kann, oder bei ihrem Broterwerb in einem Café so lange den eigenen Vorstellungen vom Leben folgt, bis der verständnislose Chef sie hinauswirft. Das lässt mitfühlen. Konfrontiert mit der Umwelt, die Theresa wissen lässt, dass sie eine unsanfte ist, scheinen die Gedanken der Protagonistin manchmal ganz normal, oft aber egozentrisch. Jeden nervt sie, niemand versteht sie und vice versa. Wenn es zwei Wörter gibt, die schon lange abgedroschen sind, dann sind es "Psychogramm" und "kafkaesk", aber hier passen sie.
Es beeindruckt, wie virtuos es der Autorin gelingt, diesen mitunter in Muster verfallenden Stoff so anspruchsvoll umzusetzen, denn Theresa hat einen Alltag, in dem sie immer den gleichen Problemen begegnet, und wer sich so verhält wie sie, zu dem verhält sich auch das Umfeld immer gleich - so weit, so erwartbar und repetitiv. Zeman durchsetzt das, was Handlung ist, mit Theresas Innenleben, enzyklopädischen Wissensbrocken (beim Sex mit Josef allenfalls überraschend) und sonstigen Gedanken - und vor allem mit einer Sprache, die Clemens J. Setz, Zemans Schriftsteller- und Podcastkollege, auf dem Buchdeckel mit dem Lob bedenkt, sie könne "Sätze schreiben, da hebt es einem den Kehlkopf an".
Er hat recht. Zeman hat nicht nur geistreiche, im besten Sinne literarische Gedanken - das haben viele -, sie setzt sie vor allem geschickt zusammen. Das macht diesen Roman zu einem inhärent erzählenden Text, auch wenn Zemans Schreiben bisweilen wie ein Aufzeichnen zugespitzter Eindrücke wirkt. Man lese und staune: Über "schuppig glänzende Kanäle", "faltige Wasser", "knochenklopfendes Geraschel", Sand, der "glasiert glänzt", oder ein Gebärmuttermyom, das "in vollster Kugeligkeit" vor sich hinwächst und das Josef mit seinem Penis berührt, dürften wenige Autoren so nonchalant schreiben können, ohne dass es zu dem wird, was Loriot einst als pseudobedeutungsvolles Gerede vom "taubgrünen Dunst am Musenhain" parodierte.
Der Bewusstseinsstrom der Schizophrenie, eingewickelt in expressionistische Stadtprosa: als ob Paul Boldt oder Alfred Döblin hundert Jahre später Wien beobachten würden. Aber zweifelsohne literarisch hochpostmodern, zusammengehalten von Motiven (blaue Wasser und Augen, rote Sterne, Häuserwände). Und ein apodiktischer Stil, manchmal fast militärisch oder gleichgültig, den man vorgelesen mit Poetry-Slam vergleichen könnte. Es gibt Texte, aus denen eine Ästhetik strahlt, die sie entgrenzt - "Beteigeuze" ist so einer, Prosa wie ein schlackiger Fiebertraum. LUCA VAZGEC
Barbara Zeman:
"Beteigeuze". Roman.
Dtv, München 2024. 301 S., geb.
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