Von der Bankerin in Zürich zur weltweit operierenden Buchhalterin der kalabrischen Mafia - ein Roman über eine unauffällige Frau.
Eine junge Frau zieht in den 1990er Jahren aus der niedersächsischen Provinz nach Zürich, um als Investmentbankerin Karriere zu machen. Dort lernt sie die Welt der Bad Banks kennen, in der weder Grenzen noch Gesetze zu gelten scheinen. Als ihre Karriere jedoch stagniert, erkennt sie, wie viel Freiraum es ihr gewährt, eine Frau zu sein, die übersehen wird: Abseits der Legalität investiert sie bald Millionen. Vor Gericht schließlich schweigt sie. Ihre Geschichte erzählen andere.
Mit »Die Spielerin« erschafft Isabelle Lehn eine ambivalente Heldin, die ihre Unscheinbarkeit zu nutzen weiß. Ein smarter und geschmeidiger Roman einer unbestechlichen Autorin - und ein aufregendes Spiel mit unseren eigenen Erwartungen. Inspiriert von einer wahren Geschichte.
Besprechung vom 30.11.2024
Aber A. ist doch so harmlos und blass gewesen
Eine Frau führt Männer vor und hinters Licht: Isabelle Lehns Roman "Die Spielerin" erzählt von ungeheuerlichen Verbrechen.
Von Melanie Mühl
Von Melanie Mühl
Die Natur hat das Chamäleon zu einem Meister der Tarnung gemacht. Innerhalb von Sekunden kann das Reptil seine Farbe je nach Stimmung, Temperatur oder Tageszeit wechseln. Weil das Chamäleon seine Angreifer weder durch das Versprühen von Gift noch durch tödliches Beißen abwehren kann, muss es mit seiner Umgebung verschmelzen, um nicht in den Radar seiner Feinde zu geraten. Unauffälligkeit ist seine Überlebensstrategie.
Die Protagonistin in Isabelle Lehns drittem Roman "Die Spielerin", kurz A. genannt, ist ebenfalls eine Anpassungskünstlerin. Geschmeidig und mit eisernem Willen geht sie ihren Weg aus der niedersächsischen Provinz ins Reich des Investmentbankings nach Zürich. Sie wird unterschätzt, arbeitet härter als jeder Mann, spinnt Fäden und steigt auf. Allerdings währt nichts ewig, Geschäftsbeziehungen zerbrechen, neue Verbindungen werden geknüpft, und weil A. längst der Macht verfallen ist, kommt sie nach dem Karriereende in Zürich mit der Mafia ins Geschäft, deren Diskretion im krassen Gegensatz zur Konsum- und Angebermentalität der koksenden Banker steht. A. geht nach Russland, Shanghai und schließlich nach Berlin - als kleines Rädchen im großen Getriebe der kurz vor der Pleite stehenden Deutschen Nachrichtenagentur (DNA), wo sie als Telefonistin arbeitet.
Isabelle Lehn diente das wahre Leben, dessen beste Geschichten eben nicht erfunden werden können, als Inspirationsquelle. 2018 erschien ein Blogpost unter der Überschrift "Wollte die Mafia ddp kaufen?" Der Autor Sandro Mattioli erzählt von einer offenbar für die italienische 'ndrangheta tätigen Telefonistin, einer Finanzbetrügerin, die mit erstaunlichem Geschick agierte. Sie soll den Kontakt zu jenem vermeintlich rettenden ddp-Investor vermittelt haben, der sich später als Hochstapler herausstellte.
In einem Interview sagte Lehn, sie habe sich in ihrem Roman bewusst von dem realen Vorbild gelöst und A.s Geschichte erzählt, wie sie sich ereignet haben könnte. Es sei ihr um die größeren Zusammenhänge gegangen, um die Frage, welche gesellschaftlichen Vorurteile A.s kriminellen Erfolg begünstigten. Sie hat nicht nur den Kontext, in dem sich der Fall ereignet hat, sehr genau recherchiert, sondern ist auch tief in die Welt des Finanzwesens eingetaucht, deren gehebelte Produkte und dubiosen Termingeschäfte so selbstverständlich in Lehns Text einfließen, als schriebe sie über ihr eigenes Metier. Ihre Faszination ist spürbar.
Zu Beginn von Lehns Kriminalroman sitzt A. vor Gericht, aufrecht, ungerührt. Sie trägt einen Pagenschnitt und eine cremeweiße Bluse und wirkt, schreibt Lehn, "auf unauffällige Weise gepflegt". Zu diesem Zeitpunkt vor Gericht mag A.s Identität zwar teilweise enttarnt worden sein, aber das Spiel ist längst nicht verloren.
Isabelle Lehn rollt den Fall mit all seinen Verwicklungen und abenteuerlichen Wendungen akribisch auf. Das Dunkel, in dem man anfangs als Leser tappt, lichtet sich bald. Es treten ehemalige Weggefährten auf und berichten über diese Frau, in der sie sich so kolossal geirrt haben, wie beispielsweise Holger Prinz, der Chefredakteur der DNA, Arbeiterkind, hochbegabt, Bildungsaufsteiger. Lehn schreibt: "Er spricht mit niemandem darüber, was A. ihm genommen hat: nicht weniger als den Glauben an sich selbst. Holger Prinz, der Mensch, für den er sich hielt, den Mann, der nicht in Stereotypen verhaftet war - diesen Menschen gibt es nicht mehr. Das ist der eigentliche Betrug, denkt Holger Prinz. Er muss sich in sich selbst getäuscht haben, sonst hätte er sich nicht von ihr täuschen lassen." Im Moment seiner größten Niederlage ist Prinz natürlich nicht bereit, A.s Talent anzuerkennen.
Auch der Snob Joachim Oldenbrink, Wirtschaftsberater der DNA in schwierigen Zeiten, der mit A. hin und wieder ein Bier trinken ging, verkannte ihr wahres Wesen. "Ausgerechnet A. also, diese farblose, matte Person, die 'zu spät' vielleicht schon hinter sich hatte und vom Leben nichts mehr erwartete, soll ihn nun mit etwas Größerem verbinden, als ihm zuvor je begegnet ist." Im Gegensatz zu Prinz jedoch imponiert Oldenbrink A.s Täuschungstalent.
Isabelle Lehn erzählt nüchtern, beinahe im Stile einer Gerichtsreportage und ohne jede Eile. Seite um Seite fächert sie die von A. begangenen Ungeheuerlichkeiten auf und kontrastiert sie mit der Naivität der Männer in ihrem geschäftlichen Umfeld. Es sind von sich selbst berauschte Männer mit mehr oder weniger Macht, die Frauen in der Hierarchie am liebsten als stille, fleißige Mäuschen unter sich haben. Und so empfinden die Zürcher Investmentzocker freilich ungeheure Schadenfreude, als eine Bankerin, die es an die Spitze geschafft hat, fällt und sich in eine keifende Hysterikerin verwandelt - vorgeführt von der Presse. Für die stets kontrollierte A. ist ein solches Verhalten undenkbar und Ansporn genug, auch Erniedrigungen im Sinne der Mission wegzulächeln.
Isabelle Lehn hat einen dramaturgisch ausgefeilten Kriminalroman vorgelegt, dessen sachlicher Erzählstil die Figuren in die Ferne rückt und eine emotionale Verstrickung beim Lesen verunmöglicht. Was man als Schwäche auslegen könnte, erweist sich als Stärke. Denn es bewahrt einen davor, A. als Feministin zu idealisieren, die die Männer mit deren eigenen Waffen schlägt. Doch sie ist nichts weiter als eine Betrügerin - wenn auch eine ziemlich famose.
Isabelle Lehn: "Die Spielerin". Roman.
Verlag S. Fischer,
Frankfurt am Main 2024. 272 S., geb.
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