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Herzfaden

Roman der Augsburger Puppenkiste

(158 Bewertungen)15
240 Lesepunkte
Buch (gebunden)
24,00 €inkl. Mwst.
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Ein großer Roman über ein kleines Theater: die Augsburger Puppenkiste.

Ein zwölfjähriges Mädchen gerät nach einer Vorstellung der Augsburger Puppenkiste durch eine verborgene Tür auf einen märchenhaften Dachboden, auf dem viele Freunde warten: die Prinzessin Li Si, Kater Mikesch, Lukas, der Lokomotivführer. Vor allem aber die Frau, die all diese Marionetten geschnitzt hat und nun ihre Geschichte erzählt. Es ist die Geschichte eines einmaligen Theaters und der Familie, die es gegründet und berühmt gemacht hat. Sie beginnt im 2. Weltkrieg, als Walter Oehmichen, ein Schauspieler des Augsburger Stadttheaters, in der Gefangenschaft einen Puppenschnitzer kennenlernt und für die eigene Familie ein Marionettentheater baut. In der Bombennacht 1944 verbrennt es zu Schutt und Asche. »Herzfaden« erzählt von der Kraft der Fantasie in dunkler Zeit und von der Wiedergeburt dieses Theaters. Nach dem Krieg gibt Walters Tochter Hatü in der Augsburger Puppenkiste Waisenkindern wie dem Urmel und kleinen Helden wie Kalle Wirsch ein Gesicht. Generationen von Kindern sind mit ihren Marionetten aufgewachsen. Die Augsburger Puppenkiste gehört zur DNA dieses Landes, seit in der ersten TV-Serie im westdeutschen Fernsehen erstmals Jim Knopf auf den Bildschirmen erschien.

Produktdetails

Erscheinungsdatum
10. September 2020
Sprache
deutsch
Auflage
5. Auflage
Seitenanzahl
288
Autor/Autorin
Thomas Hettche
Verlag/Hersteller
Produktart
gebunden
Abbildungen
2-farbig, zahlreiche farbige Zeichnungen
Gewicht
422 g
Größe (L/B/H)
208/132/27 mm
ISBN
9783462052565

Portrait

Thomas Hettche

Thomas Hettche wurde in einem Dorf am Rande des Vogelsbergs geboren und lebt in Berlin. Seine Essays und Romane, darunter »Der Fall Arbogast« (2001), »Die Liebe der Väter« (2010), »Totenberg« (2012) und »Pfaueninsel« (2014) wurden in über ein Dutzend Sprachen übersetzt und mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u. a. dem Premio Grinzane Cavour, dem Wilhelm-Raabe-Preis, dem Solothurner Literaturpreis und dem Josef-Breitbach-Preis. Sein letzter Roman »Herzfaden« (2020) stand auf der Shortlist zum Deutschen Buchpreis und wochenlang auf der SPIEGEL-Bestsellerliste.


EXKLUSIV INTERVIEW:
Vom Trümmerland nach Lummerland

VORHANG AUF FÜR Erzählmagie! Jim Knopf, das Urmel, der kleine Prinz und all die anderen Stars der Augsburger Puppenkiste sowie deren Schöpferin Hannelore Marschall-Oehmichen haben ihren großen Auftritt im neuen Roman "Herzfaden" von Thomas Hettche. Als Autor historischer Stoffe durch "Der Fall Arbogast" und "Die Pfaueninsel" bereits bestens bekannt, brilliert er nun mit einer literarischen Entdeckungsreise zu den Anfängen des legendären Marionettentheaters. Beim Blick hinter die Kulissen rückt er auch die Gründerfamilie und deren künstlerische Weggefährten ins Licht. Ein Abenteuer zwischen Wirklichkeit und zauberhafter Traumwelt.

Wie haben Sie dieses traditionsreiche Theater als Erzählstoff entdeckt?

Es ist immer so, dass die Stoffe mich finden, durch irgendwelche Zufälle plötzlich da sind und mich nicht mehr loslassen. Irgendetwas an einer ganz bestimmten Konstellation von Personen und Themen elektrisiert mich dann. Als ob sich darin ein Geheimnis verbirgt, das ich aufdecken möchte. So war es auch bei "Herzfaden". Ich war sofort fasziniert, als ich von der Puppenschnitzerin Hannelore Oehmichen hörte, die als junges Mädchen zusammen mit ihren Freunden in den Trümmern Augsburgs nach dem Krieg die Puppenkiste gründete.

Pressestimmen

»Dieser Roman ist ein Monument der Virtuosität, eine formvollendete Erzählarchitektur, bestehend aus unzähligen Türen, hinter denen sich historische und symbolische Räume auftun. « Björn Hayer, Die Presse

»[. . .] wie sie sich die Erzähl- und Zeitebenen aufeinander zu bewegen und unmerklich ineinander übergehen, das bildet das ästhetische Zentrum dieses Romans. Er ist unverkennbar selbst ein Marionettenspiel . « Helmut Böttinger, Süddeutsche Zeitung

»Es ist eine grandios vergnügliche Wiedersehensfeier mit der eigenen Kindheit. [. . .] Ein literarischer Triumph. « Denis Scheck, ARD druckfrisch

»[Hettche] recherchiert akribisch, wirft ein Licht auf Epochen, Begebenheiten und historische Personen, die bis dahin wenig Beachtung gefunden hatten [. . .]. All das mischt er mit Elementen aus Märchen, Fantastik und Schauergeschichten. « Anne Otto, Psychologie Heute

»Hettche schreibt spannend, bildreich, lebendig. « Herbert Schorn, Oberösterreichische Nachrichten

»Ein wahres Lesevergnügen. « Main-Post

»Zauberhaft ein Geschenk! « Osnabrücker Zeitung

»Mit schwebender Leichtigkeit führt Hettche die beiden Erzählfäden im Wechsel den informativen blau und den märchenhaften rot gedruckten. « Dorothea Westphal, Deutschlandfunk Kultur

»Eine fantastische Geschichte. « Doris Richter, Kölner Stadtanzeiger

»Hettche erzählt die Geschichte der legendären Serie als Mix aus Fakten und Fiktion. Ein Mythos wird lebendig. Nicht nur für Nostalgiker. « Birgit Eckes, Kölnische Rundschau

»Ein in jeder Beziehung zauberhaftes Buch. « Angela Wittmann, Brigitte

»Wie die Familie Oehmichen [. . .] mit der Kraft der Fantasie Licht in die dunkle Zeit gebracht hat und das Theater gründete, erzählt der Autor im bewegenden Roman. Kirsten Ammermüller, Hessische/Niedersächsische Allgemeine

»Von diesen Anfängen der Augsburger Puppenkiste erzählt der deutsche Autor Thomas Hettche in seinem klug komponierten Roman Herzfaden , in dem er historische Fakten und Fiktion verknüpft. « Babina Cathomen, Kulturtipp, Schweiz

»Thomas Hettche schuf mit seinem Roman Herzfaden ein literarisches Denkmal. « Edith Rabenstein, Passauer Neue Presse

»Ein großer Roman. « Biggi Müller, BRF Belgischer Rundfunk

»Thomas Hettche trifft mit Herzfaden direkt ins Herz der Leser. « RND

»Wie in einem vorzüglichen Puppentheater weiß der Autor, [ ] und somit gewiss früher Nutzer aller erwähnten kulturellen Angebote, Schrecken und Pointe und das, was sich im Gedächtnis festhaken soll, zu platzieren. « Judith von Sternburg, Frankfurter Rundschau

»Ein Roman über die magische Kraft des Erzählens, über die Macht der Poesie. « Frank Pommer, Die Rheinpfalz

»Eine zauberhafte Lektüre. « Marion Schwarzmann, Gießener Allgemeine

»Mit spielerischem Tiefgang hat Thomas Hettche selbst wie ein Puppenspieler agiert und schreibend auf wundersame Weise an unserem Herzfaden gezogen. Eine der imponierendsten Neuerscheinungen dieses Bücherjahres. « Peter Mohr, Stadtspiegel Wattenscheid

»Ein vielschichtiger Roman über eine deutsche Familie, über ihr Verhältnis zu Kultur und Ideologie und auch eine Coming-of-Age-Geschichte. « Cornelia Geißler, Berliner Zeitung

»Meisterhaft versteht es Thomas Hettche, immer wieder jene magischen Momente zu beschwören, in denen die Figuren erwachen. « Welf Grombacher, Schwäbische Zeitung

»Thomas Hettche füllt die Geschichte des berühmten Marionettentheaters so klug, spannend, wissend, ja, bezaubernd mit Leben. « stern

»Wie Thomas Hettche hier die Geschichte der Augsburger Puppenkiste und ihrer Gründer:innen mit den Geschichten ihrer hölzernen Bewohner und mit einem modernen Märchen verknüpft, das ist hochspannend, hinreißend und das ist große Kunst. « Tom Wohlfahrth, Der Freitag

»Aus diesem Kontrast zwischen dunklen Kriegstagen und der Macht der Fantasiezieht der Roman viel Kraft. Hettche gelingt das Kunststück, jene ganz besondere Magie auch in seinem Roman zu entfachen. « Andreas Schröter, Ruhr Nachrichten

»Es ist ein Märchen über die Wahrheit. [. . .] Eine Erzählung aus Fakten und bunten Phantasmagorien. « Paul Jandl, NZZ

»Thomas Hettche erzählt mit einfachen Worten und poetischem Fluss. « Stefan Keim, WDR 4

»Hettche hat ein feines Gehör für Schönheit und Schrecken. « Stefan Kister, Stuttgarter Zeitung

»Hettche arbeitet heraus, dass Realität und Märchen eng verbunden sind. « Nadine Schmidt, Krachfink

» Herzfaden entfacht ganz nebenbei die im Kindesalter entfachte Faszination am nur vermeintlich schlichten groben Marionettenspiel neu. « Philipp Seidel, Abendzeitung München

»Literarische Referenzen leuchten auf, Märchenhaftes, Zauberhaftes. Herzfaden ist der Faden der Marionette zum Publikum. Thomas Hettche versteht es, daran zu ziehen. « BR24. de

»Sein [Thomas Hettche] neues Buch Herzfaden ist als Roman der Ausgsburger Puppenkiste , wie der Untertitel lautet, auch ein Generationenphänomen. « Andreas Platthaus, FAZ

»Von der Kraft der Fantasie in dunkler Zeit erzählt Thomas Hettche Roman Herzfaden . « Anja Höfer, SWR 2 lesenswert

» Herzfaden ist eine hochromantische Hommage an eine Kunstform, die ganz von der Illusion lebt, dass ein Stück totes Holz zum lebendigen Wesen wird. « Richard Kämmerlings, Welt am Sonntag

»Nichts weniger als dieses ewige Präsens der Fantasie holt Thomas Hettche von der Marionettenbühne und feiert es in seinem besonderen Roman. « Katrin Hillgruber, Der Tagesspiegel

»Dieser für den Deutschen Buchpreis nominierte Roman erzählt sehr anschaulich und empathisch die aufschlussreiche reale Geschichte der Augsburger Puppenkiste. « Jürgen Kanold, Südwest Presse

»Eine vertrackte Konstruktion [Handlungsebene und Erzählebene], die Thomas Hettche ohne mechanisches Knirschen und mit großer Eleganz zu einem zugleich so unterhaltsamen wie auch beunruhigenden Roman zusammengefügt hat. « Christoph Schröder, Die Zeit

»Geschickt hält der Roman die Balance zwischen Märchenton, phantastischen Elementen im Stil von Michael Endes Unendlicher Geschichte , Coming-of-Age Roman und Zeithistorischem. « Hubert Spiegel, FAZ

»Charmant steigt Hettche in die Vergangenheit hinab und lässt die Gründungsgeschichte von Oehmichens Marionettentheater aufs Neue lebendig werden. « Alois Knoller, Augsburger Allgemeine

»Hettche erzählt lebendig, es ist ein leicht zu lesendes, zweifarbig gedrucktes Buch für Jüngere als Kunstallegorie leichtgewichtig, aber eine schöne Liebeserklärung. « Alexander Kluy, Buchkultur

»Das ist wirklich ein Roman, bei dem ich alle meine abgebrühten Lesegewohnheiten zur Seite lege und einfach in diesem Buch versinke, das aber dennoch sehr sehr klug ist und auch sehr lustig. « Wiebke Porombka, Deutschlandfunk Kultur Lesart

Besprechung vom 10.09.2020

Die Unschuld hängt an dünnen Fäden

Was träumt Alice in Augsburg? Thomas Hettche hat den Roman der Augsburger Puppenkiste geschrieben.

Jeder kennt die Augsburger Puppenkiste, aber für jeden von uns beginnt ihre Geschichte anders. Denn all die Familiengeschichten, zu denen die Puppenkiste mit ihren Figuren seit Generationen gehört, unterscheiden sich voneinander. Dass die Augsburger Puppenkiste selbst auch eine Familie bildet, also auch selbst eine Familiengeschichte haben muss, ist wohl nur den wenigsten je in den Sinn gekommen. Thomas Hettches neuer Roman erzählt diese Geschichte. Sie handelt nicht von Urmel, dem Gestiefelten Kater, Jim Knopf oder dem kleinen König Kalle Wirsch, obwohl all diese Gestalten Rollen im Roman übernommen haben. Auf der Bühne sind die Marionetten die unbestrittenen Hauptfiguren, aber im Roman haben sie nur Nebenrollen. Hettche erzählt von dem, was sich am anderen, dem unsichtbaren Ende der Fäden befindet. "Herzfaden" erzählt von denen, die führen und geführt werden.

Die hölzernen Türen, die sich zu Beginn jeder Vorstellung öffnen, waren ursprünglich die Seitenteile einer Transportkiste der Deutschen Reichsbahn. Die Puppenkiste war ein Provisorium, aus der Not geboren. Ihr Vorläufer, der sogenannte Puppenschrein, verbrannte nach einem Bombenangriff der Alliierten in den Trümmern des Stadttheaters. Deutschlands bekannteste Marionettenbühne, begründet von Walter Oehmichen, dem früheren Augsburger Oberspielleiter, gilt als liebenswertes Symbol der frühen Bundesrepublik, aber wie vieles in den Jahren des Aufbruchs und Neubeginns nach 1945 hat auch das Marionettentheater seinen Wurzelgrund im "Dritten Reich". Nein, es geht im Roman nicht darum, eine dunkle Stelle im Leben Oehmichens zu finden oder eine Verstrickung der Puppenkiste mit den Nationalsozialisten zu enthüllen. "Jud Süß" stand hier nie auf dem Spielplan. So einfach hat es sich Hettche nicht gemacht.

Der Roman setzt nicht vor einer Vorstellung ein, sondern danach. Was gezeigt wurde, erfahren wir nicht. Ein Mädchen reißt sich von der Hand seines Vaters los, öffnet neugierig eine unscheinbare Holztür in einem Winkel des Theaterfoyers, und schon befindet sich das Kind in einer anderen Welt. Denn auf dem Dachboden des Gebäudes sind alle Marionetten beisammen. Hier, in ewiger Dunkelheit, sind sie lebendig, können umherlaufen, sprechen oder singen wie die Prinzessin Li Si. Aber auch ihre Schöpferin ist hier, Hannelore Oehmichen, genannt Hatü. Sie hat die meisten Marionetten geschnitzt - insgesamt sollen es etwa sechstausend gewesen sein -, viele von ihnen während der Vorstellungen geführt und die Leitung der Puppenbühne 1972 von ihrem Vater übernommen. Die reale Hatü ist 2003 gestorben, hier lebt sie weiter, inmitten ihrer Geschöpfe, und beinahe ist es, als wäre sie selbst eines von ihnen. Denn auf dem Dachboden sind alle gleich klein. Auch das Mädchen ist geschrumpft. Hettche stattet das Kind nur mit dem Allernötigsten aus, um es in unserer Gegenwart zu verorten: einem Elternpaar, das sich getrennt hat, und einem iPhone. Einen Namen gibt er der Zwölfjährigen nicht. Nennen wir sie Alice in Augsburg.

Was Alice erlebt, ist im Kern märchenhaft, also überschaubar und schlicht im Handlungsablauf, aber vieldeutig in seinen Bezügen und Deutungsmöglichkeiten. Es gibt einen bösen Kasperl, den alle fürchten, sogar Hatü. Er muss bezwungen, aber auch erlöst werden. Was auf dem verzauberten Dachboden geschieht, ist im Roman in roter Farbe gesetzt, in blauer Schrift erscheint die Geschichte, die Hatü ihrer Besucherin erzählt. Das ist der eigentliche "Roman der Augsburger Puppenkiste", den der Untertitel verheißt. Er setzt mit dem abrupten Urlaubsende im Sommer 1939 ein, als der Krieg ausbricht und Walter Oehmichen einberufen wird. Im Folgenden erzählt Hatü die Geschichte ihrer Familie, der eigenen Kindheit und Jugend und der ersten Jahre der Augsburger Puppenkiste. Auf dieser Ebene endet der Roman mit der Produktion von "Jim Knopf und Lukas, der Lokomotivführer" für den Hessischen Rundfunk, die als erste deutsche Serie Fernsehgeschichte geschrieben hat. Die Rahmenhandlung, die weit weniger Raum einnimmt, wird mit der Rückkehr des Mädchens in die reale Welt beschlossen.

Hettche ist kein Lewis Carroll, aber "Herzfaden" ist wie "Alice im Wunderland" ein Buch für Jugendliche und Erwachsene gleichermaßen. Geschickt hält der Roman die Balance zwischen Märchenton, phantastischen Elementen im Stil von Michael Endes "Unendlicher Geschichte", Coming-of-Age-Roman und Zeithistorischem. Nicht nur die Familie Oehmichen und ihre engsten Mitarbeiter, auch zahlreiche Nebenfiguren haben reale Vorbilder. Personen und Ereignisse, die in diesem Roman vorkommen, so heißt es in einer Nachbemerkung, habe es wirklich gegeben, und zugleich seien sie erfunden. Man darf davon ausgehen, dass Hettche gründlich recherchiert hat. Spannend wird die Frage, wie es um das Verhältnis von historischen Fakten und Fiktion steht, wenn Hettche die zentralen Fragen des Romans verhandelt.

Dass der Vater eine Affäre hatte, Hatü kurz in den Maler Michel verschossen war, bevor sie dann doch ihre Jugendliebe Hanns Marschall heiratete, während sie die Entfremdung von ihrer besten Freundin Vroni nicht aufhalten konnte, mag so oder auch ganz anders gewesen sein. Das ist mehr oder weniger egal. Oder, wie Hettche Oehmichen sagen lässt: "Darauf kommt es nicht an . . . Wir müssen die Herzen der Jugend erreichen, die von den Nazis verdorben wurden. Und die Fäden, mit denen wir sie wieder an Kultur anknüpfen, das sind die Fäden meiner Marionetten." Dreißig Seiten später stellt Oehmichen einigen jungen Leuten - der künftigen "Familie" der Puppenbühne - sein Konzept eines transportablen Theaters vor. Die Reisepuppenbühne in einem ehemaligen Transportbehältnis der Reichsbahn: "Das ist unser Theater. Diese Kiste. Sie ist alles, was uns geblieben ist. Sie steht in den Ruinen. In sie sperren wir alles ein, was war. Verwandelt wird es wieder herauskommen."

Ist die Augsburger Puppenkiste also im Kern ein ideologisches Projekt gewesen? Ein Instrument der Volkserziehung, gegründet aus der Überzeugung, die deutsche Jugend, verdorben durch HJ und BDM, bedürfe einer moralischen Grundreinigung? Und ist der Puppenspieler einer, der aufgrund seiner Verfehlungen besser im Hintergrund bleibt, unsichtbar, aber die Fäden ziehend, weil er die Bühne denen überlassen will, die beides besitzen: Anmut und Unschuld?

Hettche ist viel zu klug, um sich da festzulegen. Ja, für Oehmichen sind Marionetten die besseren Menschen. Und nein, man kann die Hexe im Märchen von Hänsel und Gretel nicht in den Ofen stoßen, ohne an die deportierten Juden und ihre millionenfache Ermordung in den Lagern zu denken. Hatüs böser Kasperl, der auf dem Dachboden die anderen Marionetten in Angst und Schrecken versetzt, ist eine allegorische Figur, in der ebenso viel Verdrängtes steckt wie in der ganzen Augsburger Puppenkiste. Seine Puppen seien nicht eitel, lässt Hettche Oehmichen einmal sagen. Das ist, nur um eine Nuance abgewandelt, Kleists Bemerkung, dass einer der Vorteile der Marionette darin liege, "dass sie sich niemals zierte". Um in den Stand der Unschuld zurückzufallen, müssten wir wohl wieder vom Baum der Erkenntnis essen, sagt, ein wenig zerstreut, Kleists Erzähler. Hettches Roman erzählt uns vom Traum eines ganzen Landes vom allmählichen Verfertigen der Unschuld beim Spiel der Marionetten. War das kein unschuldiger Traum?

HUBERT SPIEGEL

Thomas Hettche: "Herzfaden". Roman der Augsburger Puppenkiste.

Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2020. 288 S., geb.

© Alle Rechte vorbehalten. Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt.

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LovelyBooks-BewertungVon Andreas_Trautwein am 09.03.2025
Sehr schön
LovelyBooks-BewertungVon Lysander am 03.01.2025
Ein Kapitel deutscher Kulturgeschichte von 1941 bis 1961 berührend erzählt - für Fans der Augsburger Puppenkiste erhellend.