MIT ENDE 40 bricht Geertje Marquardt aus ihrem Familienalltag als zweifache Mutter auf, um einen Lebenstraum zu verwirklichen: eine 550 Kilometer lange Überquerung des grönländischen Inlandeises auf Skiern. Sie erzählt von schwierigen Vorbereitungen, körperlichen Herausforderungen und persönlichen Zerreißproben. Von der Angst vor Eisbären, von tosenden Stürmen und dem Kampf mit den inneren Dämonen. Vor allem aber von ihrer tiefen Liebe zu Schnee und Eis und der fast schmerzhaft schönen Sehnsucht nach der klaren Weite des arktischen Horizonts. Mit nach Hause brachte sie Wunden, die irgendwann heilen, und tiefe Erkenntnisse, die für immer bleiben werden.
Besprechung vom 05.01.2025
NEUE REISEBÜCHER
Als der Mensch anfing, sich künstlerisch zu verewigen, waren Tiere sein Lieblingsmotiv: Eine der ältesten bislang entdeckten figurativen Felsmalereien in einer Karsthöhle auf Sulawesi zeigt ein Pustelschwein. In der Höhle von Pair-non-Pair bei Bordeaux gibt es Mammuts, Rinder und Steinböcke zu bewundern, und auf dem ältesten bisher in Australien datierten Felsenbild ist ein Känguru zu sehen. Die menschliche Faszination für Tiere hat eine lange Geschichte, die auch die Fotografie seit ihren Anfängen prägt. Zu Beginn waren Landschaften leichter zu bannen als Tiere, von denen die meisten die unangenehme Eigenschaft haben, sich schnell und unkontrolliert zu bewegen. Der prächtige Rothirsch, den John Dillwyn Llewelyn im Jahre 1852 im Wald überraschend scharf fotografieren konnte, war ein ausgestopftes Exemplar. Die Kameratechnik ist seither aber in ungeahnte Dimensionen vorgedrungen und den lebenden Tieren und ihren Habitaten faszinierend näher gekommen. Eine jährliche Bestandsaufnahme gibt es seit 1965, als der Wettbewerb "Wildlife Fotografien des Jahres" ins Leben gerufen wurde. Die schönsten Tierfotografien aus 60 Jahren sind nun in einem wunderbaren Band auf über 300 Seiten versammelt. Nicht nur die Höhlenmenschen würden staunen. bali
Natural History Museum: Faszination Naturfotografie - das Beste aus sechs Jahrzehnten. Knesebeck, 50 Euro.
Eine nicht mehr junge, nicht reiche und auch nicht besonders sportliche Frau setzt sich in den Kopf, eine Expedition durch Grönlands Inlandeis zu schaffen. Einen Monat lang mit Skiern übers Eis. Geertje Marquardt lebt in Potsdam als Mutter von zwei Kindern und Eiskünstlerin, die jedes Jahr für einen Monat in den Norden reist, wo sie Eishotels gestaltet. Irgendwann genügte ihr das Bauen mit Eis nicht mehr. "Mir wurde klar, dass ich genau das in meinem Leben wollte: die Natur zu Fuß erleben. Voll und ganz in sie eintauchen, ihr so pur begegnen, wie es dem modernen westlichen Menschen möglich ist", beschreibt sie in ihrem bei Dumont erschienenen Buch "Die Eisbrecherin" die erste Probetour durch Island. Auf 250 Seiten erzählt Marquardt - unterstützt von einer Ghostwriterin - von jedem Tag ihrer Reise, mit Angaben zu den Etappen, Temperaturen, Längen- und Breitengraden. Während Informationen zur Geographie und andere Fakten eher geringen Raum einnehmen, spielen ihre Eindrücke, Gedanken und Gefühle eine wichtige Rolle. Eine rational nicht erklärbare Faszination für Eis und Schnee spürt die geborene Rostockerin schon seit ihrer Kindheit. Doch lange gibt sie ihr nicht nach. Bevor sie wirklich aufbricht, verläuft ein erster Plan im Sand, weil der Reisepartner unerwartet verstirbt. Der Traum gerät in Vergessenheit. Bis ein Unbekannter in einer Facebook-Anzeige nach Expeditionsteilnehmern sucht. Marquardt spürt einen unwiderstehlichen Sog und bewirbt sich. Als Einzige. Zwei Jahre bereitet sich die Endvierzigerin auf die strapaziöse Tour vor, mit Krafttraining, Schwimmen, Wandern und Crossfit. Die beiden anderen Teammitglieder sind deutlich erfahrener als Marquardt. Unterwegs zeigt sich überraschenderweise, dass die körperliche Fitness womöglich nicht der wichtigste Faktor ist. Die Tagesform wird stark von anderen Dingen beeinflusst, wie etwa dem Zusammenspiel im Team, den Mut machenden Zettel-Nachrichten ihrer Familie, der Fähigkeit, Rückschläge auszuhalten. Fällt der Extremsportnovizin an den ersten Tagen jeder Kilometer der Tour unendlich schwer, schafft sie am Ende weit über 20 Kilometer an einem Tag.
Neben der Beschreibung ihrer nie versiegenden Liebe zu dieser an Reizen so armen Landschaft sind es die innere Entwicklung und deren Folgen für die körperliche Leistungsfähigkeit, die den Bericht so fesselnd machen. Wer einen so eisernen Willen und so viel Leidenschaft in sich vereint, so scheint es, dem ist nichts unmöglich. cwo.
Geertje Marquardt: Die Eisbrecherin - Von meiner Expedition durch Grönland und dem Mut, seinem Traum zu folgen, Dumont
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