Dieses Buch war genau das, was ich suchte, ohne zu wissen, dass ich es suchte. Seit wann meine zwei Follet-Bücher im Regal stehen, ungelesen wohlgemerkt, weiß ich nicht. Der schiere Umfang seiner Werke wirkte immer respekteinflößend für jemanden wie mich, der Bücher im Tempo liest, als würde Baldrian durch meine Venen fließen. Und so war das Werk 1365 der Autorin Gwénola Brux genau das Richtige: eine historisch angehauchte Story mit einem Umfang, der eine Wohltat für mich war. Das Beste: Ich hatte echt Spaß beim Lesen und war mitgerissen von den Schicksalen der Charaktere, deren Machenschaften und ihre Wendungen die Autorin hat fürwahr ein Händchen für Dramaturgie und Szenengestaltung!
Wir werden ins Frankreich des 14. Jahrhunderts hineingeworfen und begleiten mehrere Protagonisten, wie sie im Zuge der Invasion durch die Engländer ihre Wege beschreiten, ihr Land verteidigen und ihre Liebsten schützen. Beim Lesen war ich beinah versucht, eine Tüte Popcorn bereitzuhalten: Der Roman lebt von seinen Figuren, die allesamt wunderbar gezeichnet wurden und den Rahmen zweidimensionaler Stereotypen sprengen; innere Aufgewühltheit und emotionale Konflikte sind die Triebfeder derer Handlungen, die gut und gerne in FSK-18-Manier abliefern; sprich: Da wird ordentlich auf dem Putz gehauen. Brux schreibt unzensiert, was gemessen am historischen Hintergrund, der nicht ohne ist, weder zu übertrieben noch zu weichgespült wirkt. Und die Autorin jagt mich vor allem durch das letzte Drittel, bevor mir klar wurde, dass ich diesem Page-Turner völlig erlag. Wer Unterhaltungsliteratur sucht, findet hier eine, die definitiv zu den Besseren gehört. Ein wenig fühlte ich mich zurückversetzt, als ich den Schlaf schwänzte und mich übermüdet zur Schule schleppte, weil Dan Brown mich nicht in Ruhe ließ.
Von der sprachlichen Seite: Mir gefiel sehr, dass Brux nicht mit Vier-Wörter-Sätzen aufkommt. Sich erlaubt, hier und da ein paar Kommas mehr zu setzen als gewohnt. Insbesondere die Dialoge haben es mir angetan: Jedem Charakter merkt man denselben anhand seiner Rede an; was nicht selbstverständlich ist und gar bei mancher Höchstliteratur fehlt. Mir ploppt immer ein Adjektiv ein, wenn ich an dieses Buch denke: stimmungsvoll. Das Weltgefühl der Protagonisten schwappte förmlich auf mich über. Und das kann ich mit gutem Gewissen auf Stil und Sprache zurückführen.
Wer ausschließlich in den betuchten Sphären der Hochliteratur schwebt, wird hier vielleicht nichts finden, aber gute Unterhaltung verpassen. Für alle, die Spaß am Lesen suchen und dem historischen Hintergrund etwas abgewinnen können: klare Empfehlung. Für mich war 1365 wie Balsam, nachdem ich Vernichten von Houellebecq ausgelesen hatte. Letzteres war mir die schwerverdauliche Vollwertkost, während Ersteres der ersehnte Nachtisch war.