Britt ist wütend. Ganz konkret, weil ihr an einem Morgen im Sommerurlaub alles zu viel ist: Ihr Mann Espen, ihr Tochter Elise, Espens Freunde, mit denen sie Jahr für Jahr in dieses Ferienhaus fahren. Aber vor allem ist Britt wütend, weil sie immer die Verantwortung trägt: für Elise, für Espen und jetzt auch noch für ihren Körper, in dem möglicherweise Krebszellen wuchern. Weil sie immer an alles denken muss. Weil nie an sie gedacht wird - weder von Espen noch von ihr selber. Wie ihre Wünsche keine Rolle spielen und weil sie nie gelernt hat, sich selber zu fragen, was ihre Wünsche eigentlich sind. Weil es so anstrengend ist, eine Frau zu sein. Und weil nun vielleicht alles vorbei ist und sie ein Leben geführt hat, das sie eigentlich nicht wollte. Also schreit sie erst alle an. Geht dann mit Klamotten ins Meer, um einen ruhigen Kopf zu bekommen. Und fährt schließlich mit Nico, einer von Espens Freundinnen davon. Nico, die Britt eigentlich nicht leiden kann, weil sie so viel anders, so viel freier ist als sie selbst. Aber vielleicht versteht Nico deswegen Britt gerade jetzt so gut.In meiner Wut verbergen sich noch ein Haufen anderer Gefühle. Enttäuschung, Entmutigung, Verzweiflung, Trauer, eine so enorme Traue, dass nicht so ist, wie es hätte sein sollen, dass nicht mehr aus mir geworden ist als die, die ich am Ende nun bin.(S. 173)Linn Strømsborgs DebütNie, nie, nieüber gewollte Kinderlosigkeit war 2021 eines meiner Jahreshighlights: Ein feministische Schrift über weibliche Selbstbestimmtheit und Selbstermächtigung, verpackt in einen gut zu lesenden und sprachlich überzeugenden Roman. Meine Erwartungen an den ZweitlingVerdammt wütendwaren daher groß: Ich erhoffte mirein Buch über weibliche Wut, die in unserer Gesellschaft immer noch nicht wirklich gesehen wird. Wütende Frauen gelten als hysterisch, zickig, schwierig - oder sie übertreiben einfach. Dass es auch noch heute genügend Gründe zum Wütendsein gibt - Gender Pay Gap, Gender Care Gap etc. -, wird dabei einfach ausgeklammert.Strømsborgs Protagonistin Britt ist wütend - und zwar durchaus aus oben genannten Gründen, auch wenn diese im Roman so nicht explizit genannt werden. Doch sie fühlt sich zerrieben in ihrer Mutterrolle und Ehe, in denen die Bedürfnisse anderer immer Vorrang haben, sie selber aber auf der Strecke bleibt. Britt ist mit 43 Jahren dabei sehr reflektiert: Ihr ist bewusst, dass die gesellschaftlichen Erwartungen sie einengen, sie sich aber aufgrund ihrer Erziehung und kulturellen Prägung nicht davon lösen kann. Gleichzeitig weiß sie, dass es aber auch einfach ihre Persönlichkeit ist. Schon immer gehörte sie zu den duckmäuserischen Menschen, die lieber den Weg des geringen Widerstands gehen, als mutige Forderungen zu stellen.Und jetzt bin ich hier. Ein Körper, der welkt, in einer Welt, die in Flammen steht, in einem Alltag, der auf Repeat läuft, in einer Ehe, von der ich nicht weiß, ob sie jemals gut war, in einer Mutterschaft, von der ich mir so viel erhofft hatte...(S. 187)Gerade dieseMischung aus individuellem Schicksal und gesellschaftlicher Anklage geht für mich inVerdammt wütend- anders als inNie, nie, nie- nicht richtig auf.Der große Rundumschlag, in dem strukturelle Begebenheiten angeklagt werden, bleibt aufgrund der Fokussierung auf Britts Lebensgeschichte (die neben der Krebskrankheit vor allem durch den frühen Verlust der Mutter, die eines Tages einfach ihre Familie verließ, geprägt ist) aus. Gleichzeitig finden sich zu viele Allgemeinplätze in Britts Porträt als Heranwachsende und gestandene Frau, als dass der Roman einfach nur als Erzählung eines Einzelschicksals betrachtet werden kann. Zudem kommen Sprache und Stilistik des Romans: Strømsborg hat quasi einen ca. 220 Seiten umfassenden Gedankenstrom zu Papier gebracht, anstatt eine richtige Erzählung zu konzipieren. Man müsste das Buch quasi in einem Rutsch durchlesen, damit es mit seiner Struktur wirklich wirken kann: DennBritts Wut ist abgesehen von der Ausgangsszene wenig greifbar, wirkt eher unterschwellig, blitzt in Erinnerungen und Imaginationen immer wieder auf, anstatt dass sich die Autorin an ihr systematisch abarbeitet.Für mich ist Verdammt wütenddahernicht ganz rund- vor allem im Vergleich zum sehr starken Erstling. Ich hätte mir den Roman lauter, radikaler, fordernder gewünscht. Britt ist zwar eine wütende Frau, doch ihre Wut ist über große Zeit gezähmt, findet mit Ausnahme des Ausbruchs nicht aus ihr heraus, kann nicht kanalisiert werden. Trotz befreiendem Ende wirkt diese Wut daher nicht stark und ermächtigend, sondern verpufft so plötzlich wie sie ausgebrochen ist. Ich hätte Britt gewünscht, dass sie wenigstens einmal ihre Wut so richtig ausleben darf. Sie hätte es verdient - wie so viele Frauen!