Autoritäre Populisten trumpfen auf. Desinformation und Fake News grassieren. Und der Journalismus, der dem wehren sollte? Er kommt aus der Krise nicht heraus. Es gibt zwar mehr Medien, aber immer weniger Mittel für den Journalismus. Verlage wollen ihre Einbußen wettmachen, indem sie noch mehr laute Meinungen und Soft-Themen bringen. Doch die »Boulevardigitalisierung« nützt just den Populisten, die sich derselben Stilmittel bedienen: Zuspitzung, Skandalisierung, Aufregung.
Roger de Weck liebt Journalismus als Beruf. Er kennt ihn in allen Facetten - als Zeitungsmacher und Rundfunkchef, Reporter und Moderator. Und er macht sich Sorgen, weil die Gesetze des Medienbetriebs und die des Journalismus immer weiter auseinanderlaufen. Dagegen setzt de Weck auf das »Prinzip Trotzdem«: Recherchieren, abwägen, sich treu bleiben - trotz Sparmaßnahmen, trotz X & Co. Doch wie geht das? Der Autor zeigt, wie sich Journalismus stärken lässt. Denn ohne diesen wertvollen Spielverderber läuft das Spiel nicht in der Demokratie.
Besprechung vom 17.12.2024
Soziale Medien müssen besser reguliert werden
Strukturwandel der veröffentlichten Meinung: Roger de Weck sorgt sich um den Journalismus
Um es gleich zu sagen: Der Titel "Das Prinzip Trotzdem" klingt betulich, die meisten Diagnosen darin sind kulturpessimistisch, und die Heilmittel zur Rettung eines wirtschaftlich rentablen Journalismus sind in ihrem Idealismus geradezu rührend. Aber: "Das Prinzip Trotzdem" sollte man aus Prinzip trotzdem lesen. Die darin entfalteten Diagnosen, Prognosen und Behandlungsmethoden werden nämlich nicht falscher dadurch, dass sie den betriebsbedingten Zynismus angesichts plattformkapitalistischer Konventionen herauskitzeln, unter dem inzwischen viele Journalisten leiden. Im gleichen Maße, in dem der gute alte Universalismus wieder die öffentliche Bühne erobert (lange war Kant nicht mehr so attraktiv wie aus dem Philosophenmund des Deutschisraelis Omri Boehm oder der in London lehrenden Albanerin Lea Ypi), ist auch das Pathos der vierten Gewalt wieder auferstanden.
Roger de Weck, ehemaliger Generaldirektor des Schweizer Radios und Fernsehens sowie früherer Chefredakteur der Wochenzeitung "Die Zeit", geht der Frage nach, "warum wir den Journalismus vor den Medien retten müssen", und verknüpft mit diesem Rettungsplan die Hoffnung, das Überleben der Demokratie zu sichern.
Journalismus und Demokratie: Beides ist wie Nut und Feder zusammen eine solide Konstruktion, auf der eine heterogene Gesellschaft Platz nehmen kann, weswegen die Rettung des Journalismus für de Weck eine Frage des Systemüberlebens ist. Sein Essay muss aus diesem Grund erst mal die Feinde dieses Systems benennen.
Das ökonomische Erfolgsmodell, das den Journalismus seit dem neunzehnten Jahrhundert an einer stark politisierten und durchorganisierten Gesellschaft gemästet hat, ist lange passé. Ersetzt wurde es bis heute nicht. Die meisten Verlage befinden sich in einem lähmenden Wettlauf mit dem Takt des digitalen News-Geschäfts einerseits und den Klickhits der Konkurrenz andererseits ("halb zieht es sie, halb sinken sie hin").
Wie soll da noch besonnener Journalismus herauskommen, fragt de Weck. Denn Journalismus ist Recherche plus Zeit. Und Zeit hat ihr eigenes Maß. Jedoch: "Maßlosigkeit wird zum strukturellen Merkmal, wie in den sozialen Medien." Das klingt altväterlich, mutet aber zutreffend an, sobald man etwa an die Inflation der Lifestyleartikel auf den Websites sogenannter Qualitätsmedien denkt. Roger de Weck spricht von "Betreuungsjournalismus", wenn auch politische Leitmedien mit Clickbait-Überschriften das nervöse Auge des Users bannen.
Gefährlichere Pfunde bringen die neuen Feudalherren und ihre breitenwirksamen Sponsoren ins Spiel. Von Elon Musk ist der Satz überliefert: "Wenn Sie die Realität nicht mögen, sollten Sie sie einfach ignorieren." Doch auch in Europa sieht es teilweise nicht besser aus. So ist die öffentlich-rechtliche Rai in Italien unter heftigen Einfluss der neuen Präsidentin geraten, weiß de Weck zu berichten: "Die Postfaschistin Meloni errichtete ein 'pluralistisches System' ganz nach ihrer Fasson. Schon kurz nach ihrem Regierungsantritt waren an die 70 Prozent der TV-Nachrichten Hofberichterstattung, ermittelte das wissenschaftliche Medienobservatorium von Pavia."
Und was sagt die Öffentlichkeit dazu: Die Einsicht, Geld in ein "gestaltetes Produkt" zu investieren, um dort von einer Fachredaktion die Welt eingeordnet zu bekommen, hat sich schon länger verflüchtigt. De Weck spricht von einem "Strukturwandel der veröffentlichten Meinung". Gleichzeitig haben aber immer mehr Menschen Sehnsucht nach einer ordnenden Kraft. Allein: Kann sie noch agieren ohne Geschäftsgrundlage?
Zur derzeit noch fehlenden Geschäftsgrundlage vieler Regionalzeitungen (was zum Beispiel schon 70 Millionen US-Bürger in sogenannte "Medienwüsten" schickt, wo nachweislich ihre demokratische Teilhabebereitschaft sinkt) kommt ein alarmierender Talentschwund. Der Journalismus gehört schon länger nicht mehr zu den heiß begehrten Branchen mit guten Löhnen, einem aufregenden Lebensstil und hohem Prestige. Folglich zieht es junge Talente eher in andere Branchen oder in Stiftungen. Womit wir zum konstruktiven Teil dieses Lageberichts kommen.
Denn Stiftungen könnten Teil der Lösung sein, an die Roger de Weck glauben möchte. Er gibt sich nicht nur als Befürworter eines subventionierten Journalismus zu erkennen, sondern als ehemaliger Senderchef auch als Befürworter öffentlich-rechtlicher Strukturen - so reformbedürftig auch immer. Denn Journalismus sei Teil der "demokratischen Infrastruktur", wie Verkehrsnetze, Schulen und Krankenhäuser. Erfolgsbeispiel ist in Schweden das konservative "Svenska Dagbladet", das die längste Zeit in Opposition zur mächtigen schwedischen Sozialdemokratie gestanden und dank eines unabhängigen Medienrats als drittstärkstes Meinungsmedium überlebt hat.
Ein weiteres Remedium gegen den Verfall der öffentlichen Meinung sieht de Weck in der Regulierung der sozialen Medien. Die EU hat mit dem Digital Services Act und dem Digital Markets Act erste Schritte in diese Richtung getan. "Ziel muss sein, dass sich auch die sozialen Medien zu einem Fundament der Demokratie" entwickeln, denn "neben der Presse als Vierter Gewalt bilden sie nun die Fünfte Gewalt".
"Der Philosoph Michel Foucault schrieb 1983: 'Ich suche nicht zu behaupten, alles sei schlecht, sondern, alles sei gefährlich'", schreibt Roger de Weck. Und rundet den Gedanken des Machttheoretikers mit einem versöhnlichen Vergleich ab. Der Wandel einer anderen traditionsreichen Branche habe nämlich gezeigt, dass es nicht immer nur bergab geht, wenn es bergab geht. "Sinkt der Umsatz, bemüht sich jedes Unternehmen, trotz der nötigen Sparmaßnahmen die Qualität seiner Produkte und Dienstleistungen zu erhöhen." Damit und mit erheblichen Staatshilfen habe es der europäische Weinbau geschafft, die Qualität seiner Produkte parallel zu ihrer Verramschung in den Supermärkten zu steigern. "Eine Spirale nach oben - eine reale Utopie für den Journalismus?"
Journalismus und Wein: Auch das ist eine spannende Kulturgeschichte, die von einem mit frischer Energie aufgetankten Investigativjournalistenteam aufgeschrieben werden könnte. Zumal die Weinbranche dem Journalismus einiges an Umsätzen in ihren besten Jahrgängen zu verdanken haben dürfte. KATHARINA TEUTSCH
Roger de Weck: "Das Prinzip Trotzdem". Warum wir den Journalismus vor den Medien retten müssen.
Suhrkamp Verlag,
Berlin 2024.
224 S., br.
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