Besprechung vom 24.01.2021
Zwischen Pomp und Peinlichkeit
In seinem neuen Roman erzählt Martin Mosebach von einem Machtmenschen, aber eigentlich geht es wieder nur um Stil: "Krass"
Der Frankfurter Schriftsteller, Büchner-Preisträger und bald siebzigjährige Martin Mosebach hat einen neuen Roman geschrieben: "Krass" ist der aktuelle Spitzentitel seines Verlags und hat eine fünfhundert Seiten lange Handlung. Aber die eigentliche Hauptfigur dieses Romans ist von Anfang bis Ende die Sprache. Sie drängelt sich so vor die Handlung, dass es schwerfällt, über sie hinwegzugehen. Auch wenn es diejenigen tun, die bei jedem neuen Buch Mosebachs darum bitten, doch den manierlichen Stil des Autors nicht wortwörtlich zu nehmen oder mit einem politischen Programm zu verwechseln, der Mann sei unerbittlicher Beobachter seiner Gegenwart und sein Stil, das "Sopha", das "Telephon", der "Bankerott", nur ein Instrument, um das Publikum seiner Geschichten zu irritieren, damit sie mit ihm hinter die Dinge schauen.
Sprache ist seit langem das Hauptmotiv der Mosebach-Kritik. Im Grunde gibt es da nur zwei Lager: Das eine feiert Mosebach als letzten Repräsentanten der bürgerlichen Literatur in all ihrer Widersprüchlichkeit, mit ihrer Gabe zu Selbstironie und dem Hang zum Selbsthass, mit ihrer unerschütterlichen Bildungsfixierung auf zweitausend Jahre abendländische Kultur - die aber weiterhin zum Maßstab der Welt genommen wird, auch wenn in dieser Welt die abendländische Kultur längst nicht mehr allein herrscht. Umso mehr muss deswegen aber an ihr festgehalten werden, wir wüssten sonst nicht, wo wir heute stehen: Alle Geschichten, politische wie sexuelle, bleiben Echos der Geschichten, die uns schon die Alten sangen, am Abstand zu ihnen können wir errechnen, wie weit wir es gebracht haben.
Das andere Lager hält Mosebach für einen katholischen Reaktionär und imitiert seinen Ton, um ihn als Schwätzer zu entlarven, glaubt jedenfalls kein Wort davon, dass sich unter dem Parfüm doch nur ein Humorist versteckt, der ja gar nicht meint, was er tut, sondern Stil nur benutzt, um seiner Weltskepsis eine Form zu geben. Auch Mosebachs neuer Roman wird die beiden Lager nicht versöhnen. Und warum auch, es ist ja richtig, diesen Konflikt auszutragen, denn er beschränkt sich ja nicht auf Romane: Die Debatte um das Berliner Stadtschloss, um die Neue Altstadt von Frankfurt oder die Potsdamer Garnisonkirche verläuft ungefähr entlang der gleichen Konfliktlinien. Stiftet es Identität, wenn wir historische Zitate bauen, oder ist es nur fatale Sehnsucht nach Tradition?
"Krass" erzählt die Geschichte eines Machtmenschen und einiger weniger mächtiger Leute, die sich um ihn herum bewegen. Der Roman spielt in drei Teilen, beginnt Ende 1988 in Neapel, geht ein Jahr später weiter in der französischen Provinz und endet nach einem Zeitsprung 2008 in Kairo.
Dieser Machtmensch Ralph Krass handelt mit Panzern und sammelt um sich herum hofstaatartig eine Gruppe von Menschen, mit denen er isst, in der Bucht vor Neapel schwimmen geht, durch Museen zieht und Immobilien besichtigt. Für das Programm hat er Jüngel engagiert, einen promovierten, arbeitslosen Kunsthistoriker, der im Auftrag seines Herrn alle Kosten bar aus einem Aktenkoffer begleicht und auch die junge Flämin Lidewine bezahlt. Eigentlich war Lidewine Assistentin eines Zauberers, der in Neapel gastiert, die Gruppe hat ihrer Show zugesehen und die junge Frau dann später auf den Straßen Neapels getroffen. Den Zauberer soll Lidewine verlassen, um ab jetzt Krass zu eskortieren. Es geht dabei nicht um Sex. Andererseits darf sie auch nichts mit einem anderen Mann anfangen. Als Lidewine es doch tut, verstößt Krass sie.
Der Roman springt ein Jahr weiter, der Kreis um Krass hat sich aufgelöst, Jüngel, ebenfalls verstoßen von Krass und verlassen von seiner Frau, verzieht sich aus Kummer in die französische Provinz und freundet sich mit einem Schuster an, dessen Frau wiederum mit einem anderen weggelaufen ist - dem Leibarzt von Krass. Die beiden überleben einen gemeinsamen Autounfall. Ein weiterer Zeitsprung um zwanzig Jahre, und Jüngel, inzwischen Professor, begegnet in Kairo Lidewine wieder, die mit Kunst handelt. Und auch Krass ist in der Stadt gestrandet, pleite, todkrank, seine Waffengeschäfte mit dem ägyptischen Militär sind geplatzt, er taumelt durch die Straßen und trifft auf den Anwalt Mohammed, der sich um ihn kümmert - und weil dieser Roman permanent schicksalhafte Konstellationen inszeniert, aus denen sich Erkenntnisse ergeben, werden dann Mohammed und Lidewine ein Paar, stehen Lidewine und Jüngel am Krankenbett von Krass und zuletzt auf einem Friedhof, wo sie sein Grab aber nicht finden.
"Herr Krass war im Salon seiner Suite am Telephon", das ist so ein typischer Satz dieses Romans, in dem auch das "Sopha" nicht fehlt, Signalwort des Mosebachschen Pomps. Und dass - beziehungsweise "daß", jedenfalls in diesem Buch - auch die Hauptfigur nicht Ralf, sondern "Ralph" mit Vornamen heißt, ist kein Zufall. Vielleicht winkt Mosebach hier sogar seinen Verächtern zu.
Einmal schwimmt Krass in der Bucht vor Capri. "Wie er da auf dem Wasser lag, vom salzigen Mittelmeer wie von einem lebenden Wesen gewiegt, genoß er sich als atmende Monade, nicht ergänzungsbedürftig, und zugleich in der ruhigen Gewißheit, daß überall Welt bereitlag, sich von ihm verschlingen zu lassen, sobald er sich wieder auf den Bauch drehte und zurückschwamm" - hier spricht der Erzähler. Schreibt Jüngel, der Tagebuch führt, über eine Maus, klingt das so: "Offenbar wußte sie in der Sterilität dieser Halle Nahrhaftes zu finden, Krümel von Toastbrot und Kuchen, wie sie die Gäste um sich herum verstreuen mochten."
Wenn man jetzt tatsächlich annimmt, dass diese Sprache zur Irritation dient, dass sie also verfremdend eingesetzt wird, um Distanz zum Geschehen zu schaffen und zugleich die Präpotenz eines Mannes wie Krass zu demaskieren - der gelesene Seiten aus Büchern reißt, der sich auch nach Münzen nicht bückt, der sich Wein in den Hals gießt, ohne zu schlucken, der "Spezialisten kauft" wie Jüngel oder Lidewine - und die Bedürftigkeit der mittelmäßigen Snobs, die sich an ihn klammern, um mit ihm nach oben getragen zu werden: dann ist seltsam, warum sämtliche Figuren in diesem Tonfall sprechen. Es gibt eine Art allwissenden Erzähler in diesem Roman, aber wenn Jüngel ein Fax an seine Frau schickt oder Tagebuch schreibt (der zweite Teil besteht nur daraus), dann klingt der genauso.
Man könnte jetzt sagen, dass sich der Erzähler ja schließlich auch dieses Tagebuch ausgedacht hat. Aber die Konstruktion des Romans müsste eigentlich darauf bauen, dass es nicht so ist. Stattdessen schließt der Stil alles und jeden ein. Dass die Figuren sprechende Namen tragen - der extreme Krass, der unerfahrene Jüngel, Lidewine, die Krass sich als ein Accessoire zulegt, heißt Schoonemaker -, verstärkt das nur noch, mal abgesehen, dass es derart nach Thomas Mann schreit, dass es schon weh tut. Es gibt kein Außen zu diesem pompösen Stil, von dem aus es möglich wäre, auf die falschen Ambitionen und Schwächen seiner Figuren zu schauen. Der Erzähler selbst kommt ja nicht aus seinem eigenen Stil heraus. Alle sind ihm ausgeliefert, auch die, die "Krass" lesen. Der Stil ist die Handlung. Der Stil ist die Macht, um die es hier geht.
Und falls das so ist, dann verstärkt es nur den Eindruck, den der ganze Roman macht: dass Menschen im Bann von Mächten stehen, die lange vor ihnen über sie entschieden haben und darüber, wie über das Leben (um es allgemein zu sagen) gedacht und geredet wird. Die Menschen können Tablets haben und "elektronische Suchmaschinen" und Geldautomaten, aber ihr Bewegungsspielraum bleibt limitiert. Bleibt im Rahmen der Möglichkeiten der Gemälde, die sie in Museen anstarren und aus denen ihr Schicksal zurückstarrt. ("Jupiter und Thetis" von Ingres spielt eine zentrale Rolle.) Das Ergebnis des Spiels steht immer schon vorher fest.
"Krass" soll ein Roman über Macht sein, wie sie wirkt, wird in der Handlung über Geschlechterverhältnisse ausgetragen, zwischen Mann und Frau, Lidewine und Krass, und auch aus diesem Verhältnis leitet sich ab, wie die Männer hierarchisch zueinander stehen. Und alle Rollen sind immer schon verteilt. "Es gab der Macht erst ihre Abrundung, wenn zur Kraft die Anmut, zur Düsternis das Lächeln traten." Kann sein, dass hier nur die heitere Ironie sich selbst in Frage stellt. Sie kennt, und akzeptiert, aber keine anderen Formen und Konstellationen als die, die sie geerbt hat. Und unterwirft sich ihnen.
TOBIAS RÜTHER
Martin Mosebach, "Krass". Rowohlt, 528 Seiten
© Alle Rechte vorbehalten. Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt.Es wurden noch keine Bewertungen abgegeben. Schreiben Sie die erste Bewertung zu "Krass" und helfen Sie damit anderen bei der Kaufentscheidung.