Das wir jüdisch waren, wusste ich von Kind an, nicht aber, was es bedeutete. (S.17)
Viktor
Judith Fanto
Die junge Geertje van den Berg lebt in Nijmegen, Niederlande, und studiert dort Jura.
Ihre jüdischen Eltern und Großeltern flohen 1939 aus Wien nach Belgien, mussten sich dort jedoch bald vor den Nazis verstecken. Nach dem Krieg emigrierten sie in die Niederlande. Doch inzwischen ist die gesamte Familie katholisch, und sie bemüht sich, jegliche Spuren ihrer jüdischen Herkunft zu verwischen.
Sobald Geertje Themen wie Religion oder Flucht vor den Nazis anspricht, reagiert ihre Familie mit Schweigen. Nur wenn sie besonders vorlaut ist, murmelt ihr Großvater: Das muss sie von Viktor haben!
Viktor - so viel hat Geertje herausgefunden - war der Bruder ihres Großvaters. Ein Betrüger, der sein Leben mit Glücksspiel, Pferdewetten und gefälschten Ausweisen verbrachte, ein Mann, der sich nicht um gesellschaftliche Konventionen scherte.
Die Autorin schreibt ihr Buch auf zwei Zeitebenen:
- 1994: Geertje versucht, die Vergangenheit ihrer Familie zu ergründen und sich gleichzeitig bewusst zum Judentum zu bekennen.
- 1914: Die Familie Rosenbaum wird durch die Ereignisse des Ersten und Zweiten Weltkriegs begleitet, wobei Viktor im Mittelpunkt steht. Als schwarzes Schaf der Familie muss er sich ständig die Vorwürfe seines Vaters anhören.
Viktor ist ein fesselndes und äußerst lesenswertes Buch. Besonders beeindruckend sind die Dialoge zwischen Viktor und seinem Vater sowie seiner Schwester. Auch die Darstellung des jüdischen Lebens in Wien zur Zeit des Anschlusses an das Nazi-Deutschland - per Volksentscheid (!) - ist sehr aufschlussreich.
Dank des Stammbaumes auf den ersten Seiten fällt der Einstieg in die Geschichte leicht.
Judith Fanto erzählt hier nicht nur eindrucksvoll, sondern auch auf literarisch hohem Niveau ihre eigene Familiengeschichte - ein weiteres ergreifendes Schicksal aus der dunkelsten Epoche der deutschen Geschichte.
Große Leseempfehlung!
4/5