Besprechung vom 25.11.2023
Was wäre progressive Busenpolitik?
Bluse auf zum Protest: Anja Zimmermann nimmt die weibliche Brust als Protestorgan in den Blick.
Von Sonja Asal
An Bezeichnungen für die weibliche Brust herrscht bekanntermaßen kein Mangel. Die Kunsthistorikerin Anja Zimmermann hat diesen in ihrer Studie zur "Geschichte eines politischen Körperteils" nun noch eine besonders ausdrucksstarke hinzugefügt: die Brust als Protestorgan. So ist auch das letzte von drei Hauptkapiteln ihrer Studie überschrieben, in dem sich die eigentliche Originalität ihrer Herangehensweise zeigt. Denn dass Körper und einzelne Körperteile politisch sind, insofern sich an ihnen gesellschaftliche Wertvorstellungen ablagern, ist schon eine Grundannahme von Körpergeschichte und -soziologie. Deren Resultate greift Zimmermann kenntnisreich auf und integriert sie in ihre Darstellung, bei der es sich weniger um die vom Verlag annoncierte "einzigartige Kulturgeschichte" als um eine Ikonographie der Brust von der Antike bis in die gegenwärtige Konzeptkunst handelt. Zimmermann kann auf reichhaltiges und evidentes Bildmaterial zurückgreifen, von dem die meist kaum mehr als briefmarkengroßen Schwarz-Weiß-Abbildungen allerdings oft nur einen ungefähren Eindruck vermitteln.
Voraussetzung dafür, dass Brüste zum Protestorgan werden können, so rekonstruiert Zimmermann, ist zunächst die Tatsache, dass es sich bei ihnen mitnichten um "private parts" handelt, wie das Englische Geschlechtsteile vornehm umschreibt, sondern dass sich vielmehr ein großes öffentliches Interesse auf sie richtet. Vielleicht standen sie nie deutlicher im Licht der Öffentlichkeit als im vergangenen halben Jahrhundert, angefangen von feministischen Aktionen in der Zeit um 1968, über die von Alice Schwarzer angestrengte Sexismus-Klage gegen die Zeitschrift Stern bis hin zu den Oben-ohne-Aktionen der Protestgruppe Femen. Dass die nackte Brust so viel Aufmerksamkeit erregen kann, hängt Zimmermann zufolge damit zusammen, dass sie immer an der Grenzlinie zwischen Zeigen und Verbergen, zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit situiert war.
Den ikonographischen Beginn dieses "reizvollen Spiels" lokalisiert sie in der Figur der Venus, "von der Antike bis in die Gegenwart eine zentrale Utopie des Weiblichen". In dem Bildmodell, das von der Medici-Venus in den Uffizien ausgeht, ist nicht nur das Ideal der jugendlichen, kleinen und festen Brust angelegt, sondern auch das der zurückhaltenden und schamhaften Weiblichkeit. Dieses Modell war nach Zimmermanns Einschätzung so stark, dass die seit der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts entdeckten steinzeitlichen Statuetten, deren bekannteste die sogenannte Venus von Willendorf ist, trotz ihrer grundlegenden Unterschiede immer noch darauf bezogen wurden - und dann eben "Venus impudique" hießen. Vergleichbares gilt ihr zufolge für die sogenannte "Hottentotten-Venus", in der sich rassistische Vorstellungen des neunzehnten Jahrhunderts kristallisieren. Insgesamt geht es Zimmermann darum, anhand der "hochgradig normierenden" Blicke auf die Venus herauszuarbeiten, dass dieser Blick nichtweiße Körper, alte Körper und Körper von geschlechtlich nicht festgelegten Personen ausschließt.
Auf ähnliche Weise geht es in dem Kapitel, das der Natürlichkeit der Brust gewidmet ist, darum, "eine unausgesprochene Grundlage der Beschäftigung mit der weiblichen Brust anzuzweifeln: die reflexhafte Verbindung von Busen und Frau". Auch die vorgeblich weiblichste aller weiblichen Funktionen der Brust, das Stillen, sieht Zimmermann im Fadenkreuz gesellschaftlich-politischer Absichten. Was Rousseau als "süße Pflicht" der Natur propagierte, war nicht nur bis heute wechselnden Moden ausgesetzt. Vielmehr versucht Zimmermann zu belegen, dass "die Verknüpfung von milchgebendem Busen, Weiblichkeit und Mutterschaft durch die tatsächliche Praxis, wie Säuglinge versorgt werden, keineswegs abschließend bestimmt" ist. Dafür hat sie so kuriose Beispiele parat wie die, dass tatsächlich Ziegen oder Esel in Kinderhospizen als geduldige Ammen eingesetzt wurden. Im achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert kursierten in Lateinamerika und Russland nicht wenige Berichte von angeblich stillenden Männern, wie Alexander von Humboldt sie in seinen Reiseberichten wiedergab. Dass solche Erzählungen später nach und nach verschwanden, führt Zimmermann auf eine gleichzeitig stattfindende vereindeutigende Zuordnung von Geschlechtsmerkmalen zurück.
Nach all diesen Ausführungen über die Brust als "überdeterminierten Körperteil" scheint auf der Hand zu liegen, dass und wie Frauen durch den Umgang mit ihr Kritik an ihrer gesellschaftlichen Situation äußern können. Natürlich beruht die Protestwirkung ja gerade darauf, dass es gegen gesellschaftliche Normen verstößt, in bestimmten Situationen zu viel Brust zu zeigen. Doch hier geht Zimmermann über die ausgetretenen interpretatorischen Pfade des kalkulierten Regelverstoßes hinaus. Wie sie zeigt, ist "in der westlichen Kunst die weibliche Brust als Signal der Wut, des Angriffs mit eigener Ikonographie belegbar". Dafür findet sie aufschlussreiche Belege wie zum Beispiel Giottos "Personifikation des Zorns", eine Frauenfigur, die ihr Kleid über der Brust aufreißt, oder Figuren der "Ira ferox", des wilden Zorns, mit entblößter Brust aus dem sechzehnten Jahrhundert. Dieses aggressive Potential ist es, das den Busen zum Protestorgan par excellence macht.
Zimmermanns Buch ist, bei aller fachwissenschaftlich akkuraten kunst- und kulturhistorischen Argumentation, auch ein durchgehendes Plädoyer für eine "progressive Busenpolitik". Worin genau diese läge, wird allerdings nur punktuell deutlich. Die Änderung von Badeordnungen, in denen die Vorschrift zur Bedeckung der weiblichen Brust abgeschafft wird, nennt Zimmermann ein "progressives Zeichen für die Gleichberechtigung vieler Geschlechter". Als positives Beispiel schildert sie das Projekt der Hamburger Performancekünstlerin Evgenia Tsanana, das diese unter dem Titel "Körperteile von Gewicht" zwischen 1996 und 2004 verfolgte. Tsanana fragte sich, ob solche Körperteile auch praktisch eingesetzt werden könnten. Dokumente dieser Recherche sind unter anderem Fotos, auf denen sie Bücher, Teller oder Schaufel und Besen unter ihre Brüste klemmte. Eine Aktion, die den Busen jenseits aller Zuschreibungen und jenseits aller Aufladung mit Bedeutung nur als schweren, mehr oder minder praktisch einsetzbaren Körperteil vorführen sollte. Ihn von all diesen Zuschreibungen zu lösen ist auch Zimmermanns Wunsch, den sie so ausdrückt: dass die Brust einfach mal rumhängen dürfte. Die Performance von Evgenia Tsanana nahm demgegenüber ein anderes Ende. Wie sie auf ihrer Internetseite wissen lässt, endete das Projekt mit einer Operation zur Brustverkleinerung.
Anja Zimmermann: "Brust". Geschichte eines politischen Körperteils.
Wagenbach Verlag, Berlin 2023.
272 S., Abb., geb.
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