Besprechung vom 19.02.2025
So anmutig wie eine Bahndurchsage
Reiseabschnittsgefährten: Daniel Glattauer versucht sich noch einmal am Liebesdialogroman, kommt aber nicht recht vom Fleck
Man könnte es sich so vorstellen: Der Wiener Erfolgsautor Daniel Glattauer, inzwischen ein kultivierter Mittsechziger, fährt mit dem Zug nach München und kommt ins Grübeln. Vieles hat er ausprobiert, Thriller, Kolumnen, Komödien, alles ordentlich verkauft. Aber nichts kam je wieder an den Erfolg seines frühen Liebesromans "Gut gegen Nordwind" (2006) - inklusive der Fortsetzung "Alle sieben Wellen" (2009) - heran. Eine so lockere, schlichte, schöne Geschichte wie der sämtliche Tasten auf der Sehnsuchtsklaviatur anklimpernde E-Mail-Flirt zwischen Leo und Emmi, der sich im Nachgang einer Postfachverwechslung entspann, ist ihm einfach nie wieder gelungen.
Da fällt ihm eine Idee zu: Wie wäre es, wenn er den Roman einfach noch einmal schriebe? Das tun andere ja auch, und das Publikum will eh nichts anderes. Nur würde die Geschichte diesmal - die Zeiten ändern sich - im Analogen und näher an ihm selbst spielen, genauer: hier, in einem Zug von Wien nach München. Ein gealterter Liebesroman-Schriftsteller mit Schreibblockade, der missmutig an komisch gemeinten, aber völlig unlustigen Kolumnen über die Stationen zwischen Wien und München herumdokterte, träfe in seinem Abteil auf eine attraktive, jüngere Frau.
Wieder gäbe es ein Missverständnis (klar!), sie könnte ihn etwa für ihren Englischlehrer halten; er wäre heimlich leicht düpiert, nicht als der berühmte Schriftsteller Eduard Brünhofer (haha) erkannt worden zu sein; und schon könnte das locker-lustige, sich mehr und mehr ins Intime verlagernde Geplauder losgehen, bei dem mit jeder Antwort das Interesse am Gegenüber stiege. In München angekommen hätte der Schriftsteller an seinen missratenen Kolumnen zwar keinen Strich getan (es war die letzte Chance, einen Verlagsvertrag noch zu erfüllen), aber er hätte genau die schwebend leichte Liebesgeschichte erlebt, die es nur noch aufzuschreiben gälte.
Genau diesen Roman hat Daniel Glattauer dann geschrieben. Verheiratet ist diesmal - die Zeiten ändern sich - die männliche Hauptfigur, und das auch noch glücklich, aber so lange bereits, dass der (bis auf eine Neigung zum Alkohol) integre Eduard für einen Flirt am Rande nicht unempfänglich zu sein scheint. Sein charmant drauflosplapperndes, "bindungsunfähiges" Gegenüber Catrin ist auf dem Weg zur aktuellen Liebschaft in München und besonders an Brünhofers Ehegeheimnis interessiert: "Weil ich wissen möchte, wie man sich kennenlernen muss, damit man eine halbe Ewigkeit zusammenbleibt." Auch über den Sex möchte sie - einige Gläser Wein aus dem Bordbistro später - alles wissen, was Eduard ins Schwitzen bringt, aber auch zur Reflexion über seine Lebensliebe.
Immer wieder lenkt Catrin das Gespräch in poetologische Bahnen um, was ihren indiskreten Fragen einen dezenten Rahmen gibt, in dem auch Eduard sich darauf einlassen kann. An wen denke er, wenn er intime Szenen schreibe? Doch wohl nicht an seine Frau, sondern an die beschriebene Figur. "'Das heißt, du denkst an Sex mit einer anderen', sagt sie. 'Das heißt es zwar nicht. Aber wäre das schlimm? Darf man nicht denken, woran man will?' 'Denken schon. Aber du behältst es ja nicht für dich. Du gehst damit an die Öffentlichkeit.'" Die damit zusammenhängende Frage, ob Erfahrung für die Fiktion notwendig oder eher hinderlich ist, gehört hier zu den interessanteren.
So geht es wie der Wind gen Westen. Amourös aufgeladene, schmalzfreie Plauderdialoge mit kokettem Witz, die schreibt Glattauer heute so pointiert wie vor zwanzig Jahren. Die (moderate) Komik entsteht durch kleine Diskrepanzen zwischen dem Gesagten und dem von Eduard Gedachten. Er reflektiert permanent, wohin sich die Diskussion entwickelt; der Autor spielt also auf gedoppelte Weise mit den Erwartungen: "Ich überlege, welches Kompliment ich noch schnell nachliefern könnte. Naheliegend wäre etwas über ihr Aussehen und wie sie es präsentiert, aber darüber werde ich keine Silbe eines Wortes verlieren, das ziehe ich beinhart durch bis nach München."
In die Tiefe reichen die Dialoge und Gedanken allerdings nie, weder im Hinblick auf stilistisch-künstlerische Fragen noch bei der Durchdringung moderner Beziehungskonzepte. Im Gegenteil: Man hat allzu oft den Eindruck, mit Floskeln über das Alter, die Geschlechter, das Schreiben oder die Ruhelosigkeit der Generation Smartphone ("Das muss sofort gepostet werden") abgespeist zu werden. Letzteres hat immerhin mit einer narrativen Volte zu tun.
Immer schwierig sind bewusst schlecht geschriebene Passagen. Die angestrengten Kolumnenanfänge sollen aber nun einmal Eduards Kreativitätsblockade belegen: "Welche Worte fallen uns als Allererstes zu Linz ein? Linzer Torte. Linzer Auge. Linzer Schnitte. Klare Angelegenheit, die Linzer und Linzerinnen sind süß." Das größere Problem hier ist, dass sich viele der übrigen Überlegungen von diesen, sagen wir: narrativen, Signalstörungen nicht wirklich unterscheiden: "Denn mit dem Alter potenziert sich die Mitteilungsbedürftigkeit." "Unsportliche Männer zieht es zu sportlichen Frauen. Wer bleibt auf der Strecke? Unsportliche Frauen." "Hat man kein Kind, will man meistens auch nicht darüber reden, außer vielleicht, man plant gerade eines." Selbst unmotivierte Bekenntnisse hat Glattauer seinem Helden in die inneren Monologe gedrückt: "Ginge es nach mir, gehört (. . .) das noch immer recht beliebte männliche Sich-in-den-Schritt-Greifen (. . .) als nonverbaler Alltagssexismus abgeschafft." Im Erzählfluss wirkt das bestenfalls wie eine weitere Verzögerung im Betriebsablauf.
So ist man froh, wenn dieser Bummelzug endlich in München eintrudelt, und das in umgekehrter Wagenreihung. Denn eine erzählerisch ambitionierte Pirouette hat Glattauer kurz zuvor noch vollführt, mit der er sich dem möglichen Rüffel entzieht, er habe statt eines bezaubernden Liebesdialogs eine kaum verblümte Altmännerphantasie abgeliefert (verbalen Literatursexismus sozusagen). Aber auch dieser letzte, die Handlung in ein anderes Licht rückende, wenngleich recht konstruierte Einfall wird so sehr überdehnt, bis alles Pfiffige daran auf der Strecke bleibt. Zudem wird dabei rückwirkend das negiert, was Glattauerromane eigentlich ausmacht, ihre authentische Stimmung. Heinrich von Kleist hat in seinem "Marionettentheater"-Essay auf den verzweifelt missglückenden Versuch eines Knaben hingewiesen, die natürliche Anmut einer an das antike Motiv des Dornausziehers gemahnenden Bewegung "bewusst zu wiederholen". Und auch hier gilt: Mit aller Versiertheit des Erfolgsautors noch einmal die schwebende Leichtigkeit einer unbewusst geglückten Liebesquasselei aus der Frühzeit zu wiederholen, kann nicht gelingen - dieser Zug ist wohl abgefahren. OLIVER JUNGEN
Daniel Glattauer: "In einem Zug". Roman.
Dumont Verlag, Köln 2025. 206 S., geb.
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