»Das Beste ist, wenn man das Schlimmste über die Leute weiß« - und so ist der 1930 erschienene und hier erstmals auf Deutsch vorliegende Jahrhundertroman Die Affen Gottes eine ebenso komische wie brachiale Abrechnung mit jenem Milieu, das der Maler, Avantgardist und Gründer der Vortizisten-Gruppe Wyndham Lewis allerbestens kannte: die Londoner Kunstwelt der 1910er und -20er Jahre.
Vom Autor in greller Überzeichnung vorgeführt, bringt das Personal dieser monströsen Farce ein veritables Welttheater zur Aufführung, das in einem mehrere hundert Seiten langen Karneval grotesker Masken gipfelt. Lewis' beißende Satire operiert mit einer alle Register ziehenden Kunst des Dialogs und einer Schrift- und Umgangssprache mischenden Verfremdungstechnik. Ezra Pound zog das Werk dem Ulysses von Joyce vor, andere verglichen Lewis mit Rabelais oder Aristophanes.
Mit seiner Konzentration auf das Physische und Groteske ist Die Affen Gottes eine stilistische Tour de Force und in der hier erstmals vorliegenden deutschen Übersetzung ein überaus lohnendes Stück noch zu entdeckender Literatur des 20. Jahrhunderts.
»Wyndham Lewis ist einer der größten Prosaisten meiner Generation und wohl der einzige, der einen neuen Stil erfunden hat.« T.S. Eliot
»Die erstmals auf Deutsch vorliegende Übersetzung von Lewis` Opus ist ein bedeutendes Stück Archäologie der literarischen Moderne des 20. Jahrhunderts. Das Buch steht neben James Joyce s Ulysses und Proust s À la recherche du temps perdu .« Ingo Arend, Deutschlandfunk Kultur
»Ein großer, fieser, lustiger, abgründiger Roman aus dem Jahr 1930 erscheint erst jetzt endlich auf Deutsch: Die Übertragung des Höllenwerks Die Affen Gottes von Wyndham Lewis ist hervorragend.« Dietmar Dath, FAZ
»Angriffslust als ästhetisches Motiv: Die Satire eines Malers und Schriftstellers auf die Bohème, von 1930, erstmals auf Deutsch.« Jürgen Kaube, FAZ
»Ein ungebändigtes, verzweifelt ausgelassenes Werk, das zeigt, was Literatur sein kann.« Christoph Haacker, Deutschlandfunk, Buch der Woche
Besprechung vom 05.12.2020
Im feuchten Gewitterstudio
Ein großer, fieser, lustiger, abgründiger Roman aus dem Jahr 1930 erscheint erst jetzt endlich auf Deutsch: Die Übertragung des Höllenwerks "Die Affen Gottes" von Wyndham Lewis ist hervorragend.
Als zur Zeit des Ersten Weltkriegs eine aggressive Avantgarde ihre Status- und Kunstmarktbereinigungskämpfe mit den Altvorderen und intern ohne Rücksicht auf Verluste austrug, schrieb der 1882 geborene Wyndham Lewis die lautesten Manifeste, gab die explosivste Zeitschrift heraus ("Blast"), ließ sich eine Kunstrichtung, die er dominierte, vom Schriftstellerkollegen Ezra Pound "Vortizismus" taufen (wie Kubismus, nur mit mehr Wirbeln zwischen den Kanten, und wie Futurismus, nur geiler) und wurde für ein paar Tafeln der schnittigste Kriegsmaler seiner Generation - ein ambivalentes Lob; man soll ja eigentlich nicht mit dem Pinsel das Design eines Fleischwolfs optimieren, der Millionen Menschen ermordet. Nach 1918 stand Lewis nicht nur vor den Ruinen der ihm ohnehin verhassten europäischen Selbstgefälligkeit des bürgerlich-fortschrittlichen neunzehnten Jahrhunderts, sondern erlebte auch die Enttäuschung seines Lebens: Er hatte geglaubt, eine von seinesgleichen veranstaltete Infusion der Kunst in den maschinell beschleunigten Alltag werde die Instinkte der Menschheit zur Überschreitung aller trägen Gewohnheiten treiben. Stattdessen hatte sich nur die kulturelle Inneneinrichtung verändert; jede blöde Kuh in Bloomsbury und jeder arbeitsscheue Kleinbürgerknabe spielte das Spiel "Boheme" und gab sich als Kulturmensch aus.
Nein, das waren nicht die zornigen zukünftigen Göttinnen und Götter, die Lewis in seinen Grabenschockvisionen erschaut hatte, das waren nur Trottel, die solche Gottheiten nachäfften. Lewis wollte, dass "im Studio des Künstlers" Gewitter erzeugt würden, nicht Tapetenmuster für Lifestyle-Mittelmaß, egal, ob in so einem Studio das Dach feuchtschimmlig war oder der Wind durch alle Türritzen pfiff. Sein eigener Kopf war so ein Sturmstudio. Die Verachteten (inklusive, in selbstkritischem Rausch, sich selbst) malte er daher als "tyros" (genau das, was bei seinen späteren satirischen Verwandten von Monty Python ähnlich erzbritisch "twits" hieß), und als sie davon immer noch nicht sterben wollten, schrieb er ihnen einen Roman auf den Hals, der sie im Titel beim Namen nannte: "The Apes of God" (1930). Diesen Roman fand der Kollege Pound, außer Lyriker bekanntlich Literaturkritiker von Jahrhundertrang, zeitweise besser als James Joyce' "Ulysses".
Jetzt erst, bald hundert Jahre nach Erscheinen, gibt es ihn als "Die Affen Gottes" auf Deutsch. Das Buch ist eine Hölle voll klatschversessener Schreckschrauben, plappermäuliger Erbinnen, blasierter Autonarren (der Porsche-Liberalismus des 21. Jahrhunderts ist nicht halb so neu, wie man derzeit in Berlin meint) und Trümmern von Experimenten mit erotischen Identitätsknoten, die sich als nie auch nur halb so krampflösend erweisen, wie die Beteiligten sich's erträumt haben (auch das gibt's also schon länger). Dazwischen steckt leider auch etwas hässlich-zweideutiges, antisemitisch lesbares Zeug um einen Psychoanalytiker namens "Doctor Frumpfsusan" - als Scherzkeks greift Lewis die Moden seiner Ära manchmal von ganz unten an.
Feurig aber, in tausend Zungen, von Brillanz bis Manier, geht es auf rund achthundert Seiten gegen jedes Sicheinrichten in Kultur ("Bücher, Schreibutensilien, dahinter ein Wohnzimmer: für einen erschöpften jungen Mann eine äußerst komfortable Unterkunft") und gegen einen Bildungspöbel, der sich die Welt kleinwichtelt, um sich darin als Durchblickinstanz und Kreativ-Adel fühlen zu können; der Psychogauner rät seiner Kundschaft explizit: "Für eine erfolgreiche Extroversion müssen Sie die Szene dominieren - Sie müssen sich ein Liliput erfinden", jedenfalls wenn "Ihre Libido frei durch die Leitung fließen soll", es geht ja um "die Größe, mein lieber Junge!" - eine der wenigen Stellen, an denen die bewundernswert nuancenreiche Übersetzung von Jochen Beyse und Rita Seuß vielleicht ganz leise bemäkelt werden könnte, denn bei Lewis steht "Scale my dear boy" (ohne Komma), also eher "Maßstab" statt Größe. Das wiegt aber fast nichts angesichts einer Übertragung, die sogar weiß, wann sie ein unverständliches Wort nur zur Hälfte übersetzen darf ("frumpishly and jewishly" wird "frumpfig und jüdisch") oder ein extrem verständliches einfach stehenlassen muss (die penetrant wiederholte Anrede "Danieldarling" oder "Dandarling", zusammengeschrieben). Das Werk kitzelt, zwickt, verführt, beeindruckt und ärgert beim Lesen noch immer, ein paar Weltuntergänge später. Lewis war ein überzeugender Rebell, aber weiß Gott kein linker (selbst der Pest des zwanzigsten Jahrhunderts, dem Faschismus, hat er ein paar Minuten lang schöne Augen gemacht, wenn auch keine treuen; den Antisemitismus hat er schließlich scharf verurteilt, die Hitler-Sekte überhaupt auch). Sein gegen eine von ihm befürchtete Nivellierung von Talent und kräftiger Tugend durch Demokratie und womöglich Sozialismus gerichteter, also bekennend reaktionärer Begriff von Modernismus hat keine langlebigen Gemeinden bilden können. Selbst der anspruchsvollste, inzwischen, nach schillernden Anfängen, ganz offen rechte Intellektuelle britischer Herkunft nach 1945, Nick Land, holt sich seine Ahnenanregungen lieber bei Georges Bataille oder Maurice Blanchot als bei Pound und Lewis. Deren rechter Modernismus, widersprüchlich, hyperzerebral, der Abstraktion zugeneigt, hatte das Pech, dass alle leidlich (und oft katastrophal) erfolgreichen rechten politischen Strömungen der Moderne nun mal Widersprüche hassen, Zerebralität als Zersetzung urigen Machtwillens verdächtigen und Abstraktion selbst dann nicht mögen, wenn sie in den urdeutschen Hausschlappen Martin Heideggers durch schutzlose Hölderlin-Gedichte schlurft.
Man mag in der Kultur der Gegenwart, in deren blasenbildende, von dicht beieinandergluckenden Hühnern mit besten Absichten in großer Zahl verunzierte Landschaft ein Buch wie "Die Affen Gottes" passt wie ein Reichsbürger in den Reichstag, den ruppigen Impuls vermissen, der von Leuten wie Lewis einst ausging. Interessant bleibt er mindestens; neben dem hier rezensierten Meisterstück realistisch-satirischer Prosa schuf er ja auch einen mindestens ebenso bedeutenden Gipfel düster-komischer Phantastik, "The Childermass" (1928, Auftakt einer unvollendet gebliebenen Serie). Echos jenes Impulses findet man heute kaum im Roman, in der Galerie, im Kino oder im Theater; eher schon an den schmuddeligen Rändern der Massen- , Markt- und Schrottkultur, deren Frühformen Lewis per sexy Metafuturismus überbieten wollte - Applaus und Pfiffe hätte er wohl für jene in Amerika derzeit vielbeschäftigte Pornodarstellerin mit dem völlig verrückten Pseudonym "Charlotte Sartre" spendiert, die sich das Schiller-Zitat "Auch das Schöne muss sterben" in deutscher Sprache aufs Bein hat tätowieren lassen.
Gegen Affen Gottes helfen nur Engel des Teufels - der Trotz, den eigenen Leib zum Kunstwerk zu erklären und dessen Sterblichkeit mit obszönem, aber kunstkundigem Lachen zu begrüßen, ist jenem Gestus tief verwandt, mit dem Lewis die billig geläufige Selbstberuhigung des geistigen Mittelstands seiner Zeit über die unterm Zivilisationslack lauernde tödliche Barbarei störte. Man soll sein Schaffen nicht der Vergessenheit überlassen; es hat seine seinerzeitigen Gegenstände und offenbar sogar die zu deren Gestaltung damals drängenden autoritär-rebellischen kulturpolitischen Intentionen des Verfassers erstaunlich munter überlebt, als Kunst. Denn der Mann konnte schreiben und denken - teils wüst, teils falsch, aber nie auf Nummer Sicher.
DIETMAR DATH
Wyndham Lewis: "Die Affen Gottes". Roman.
Aus dem Englischen von Jochen Beyse und Rita Seuß. Diaphanes Verlag, Zürich 2020. 776 S., geb.
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